Wer sich früh für KI interessierte, blickt Bartolome zurück, war belächelter Außenseiter. Heute hat er einen Vorsprung und weiß, wie sich KI künstlerisch trainieren lässt. Ahnungslosen hilft er mit einem Vergleich: „Sie müssen sich das wie die Erziehung eines Kindes vorstellen. Die KI lernt nach meinen Anleitungen und kann nun selbstständig Skulpturen, Zeichnungen und Lyrik entwickeln.“ Eine dreidimensionale Form, die nicht nur eine Hauptansicht hat, sondern von allen Seiten gut aussieht, war erster Arbeitsauftrag. Dass die KI das inzwischen mit einem hohen Grad an Autonomie löst und sein Werk unabhängig von ihm fortsetzt, fasziniert Bernd Bartolome: „Was gerade passiert, ist einschneidend. Mit dieser rasanten Entwicklung hat auch Wissenschaft nicht gerechnet“, sagt er. „Das wird die Kunst tiefgreifend verändern.“
Eine alte Werkhalle ist Bühne fürs KI-Duett
Kennenlernen lässt sich Bartolomes Arbeit beim Festival der Internationalen Bauausstellung; in der Neckarspinnerei in Wendlingen zeigt der Künstler in einer alten Werkhalle die multimediale Rauminstallation „8 Seconds“, die aus einer Projektion und plakatgroßen Drucken auf Leinwand besteht. Die Hauptrolle darin spielt der Tänzer Friedemann Vogel; der Starsolist des Stuttgarter Balletts ist sowohl in einem 30-minütigen Film als auch auf den gemäldeartigen Motiven daraus nicht nur in ungewöhnlich geerdeten Tanzposen zu erleben. Er tritt zudem in Dialog mit einer KI-generierten Skulptur, einer Art plastischer Linie, die sich im Duett mit dem Tänzer zu immer neuen Ansichten windet.
Menschliche Zweifel treffen auf KI-Souveränität
Nachdenklich ließ Bernd Bartolome den Solisten agieren, als die Aufnahmen im Mai 2022 in der Filmakademie in Ludwigsburg entstanden. Szenen des Aufbegehrens, des Leidens geben einer kurzen Geschichte der Evolution Drama; mit Bewegungen, die das Fließen der Skulptur aufgreifen, hat „8 Seconds“ auch schwebende Momente. Der Kontrast zwischen menschlichem Zweifeln und KI-Souveränität, zwischen Begrenztheit und endlosem KI-Kosmos sorgt für Spannung.
Bartolome begeistert, dass KI sein Werk autonom fortführen kann. „Nicht nur mechanisch, sondern auch in dem Sinn, dass ich überrascht bin.“ Die Aufhebung menschlicher Endlichkeit schwingt für ihn als Faszinosum mit. Wer seine Lebensspanne als Schicksal hinnimmt und nichts von Programmierprozessen versteht, schaut weniger gebannt auf die KI-Kunstproduktion. Macht nicht gerade der Dialog mit der Emotionalität eines menschlichen Akteurs die virtuelle Skulptur reizvoll? Er sehe die Möglichkeiten von KI durchaus auch skeptisch, antwortet Bartolome: „Mein Held ist van Gogh mit seinem Leiden am Leben und an der Kunst.“
Historisches Industriequartier ist ideale Bühne
Die Präsenz eines Balletttänzers der unkörperlichen KI-Kunst gegenüberzustellen und so das Wesen der Kunst zu befragen, gehört zur Intention Bartolomes. Die Neckarspinnerei liefert die ideale Bühne: „KI ist im Hochtechnologie-Bereich verortet“, sagt der Künstler. „Ein ebenso weit entwickelter Ort wurde hier vor mehr als hundert Jahren aufgebaut. Es gab sogar eine eigene Stromversorgung.“ Auch davon, welchen Weg der Mensch in dieser Zeit zurücklegte, erzählt „8 Seconds“ im Aufeinandertreffen von altem Industriecharme und glatter KI-Welt.
Im Dorotheenquartier trifft KI auf die Modewelt
Ganz anders wird das Umfeld bei einem weiteren IBA-Auftritt Bartolomes demnächst in Stuttgart sein. Bei Breuniger wird er auf Monitoren in mehreren Schaufenstern ein Werk zeigen, das in Echtzeit aus der Interaktion von Passanten und KI entstehen soll – und kritische Fragen nicht ausblendet, wie der Künstler betont: „Die Art und Weise, wie wir leben, entsteht durch Konsum.“ Das Dorotheenquartier bietet da reichlich Anschauungsmaterial.
Dass Breuninger das Risiko dieses Projekts nicht scheut, freut Bartolome. Er plant, Passanten mit einer KI über einen Touchscreen in Dialog treten zu lassen: „Zeig mich in 50 Jahren! Ich möchte blau sehen!“ So könnten laut Bartolome die Handlungsanweisungen lauten. „Die KI erschafft daraus nach meinem künstlerischen Willen neue Bildwelten“, erläutert Bartolome. Wer die Daten freigibt, wird Teil eines Gemeinschaftswerks. „Das Bild, das einzelne generieren, ist für zehn Sekunden sichtbar und verschwindet dann in der Menge der Daten“, sagt der Künstler. „Die Erfahrungen der einzelnen Menschen summiert sich zu einem einzigen Bild, das alle anderen enthält.“ Teilhabe statt Konsum? KI macht’s möglich.
Info
Termin
Die Rauminstallation „8 Seconds“ ist bis zum 25. Juli in der Neckarspinnerei in Wendlingen als Beitrag zum IBA-Festival zu sehen. Der Film mit Friedemann Vogel läuft am 28. Juli um 18.30 Uhr auch vor einer Diskussion im Alten Schloss in Stuttgart; auf dem Podium sprechen Denis Scheck, Jan Adamczyk, Ulrich Wegenast, Alexander Warmbrunn mit Bernd Bartolome über das Thema „Kunst, Wirklichkeit und ihr Verschwinden“.
Tänzer
„Wie verträgt sich KI mit unserer Kunst, was hat ihr der menschliche Körper voraus?“ Diese Frage, sagt Ballettstar Friedemann Vogel, habe ihn zur Teilnahme am „8 Seconds“-Projekt gedrängt. „Meine Arbeit baut auf Emotionen auf, nicht auf Algorithmen“, sagt der Tänzer des Stuttgarter Balletts. Auch nach der Begegnung bleibe KI für ihn aber „ungreifbar und eine Illusion“.
Bühne
Dass Friedemann Vogel im Filmbeitrag „8 Seconds“ ein Leben im Schnelldurchlauf erzählt, macht das Solo auch für die Bühne interessant, eingeladen ist das Stück in einer hybriden Version etwa zum Bregenzer Frühling 2024 und dort am 23. März zu Gast.
Künstler
1966 geboren, verbindet Bernd Bartolome in seiner Arbeit Kunst und KI. Der diplomierte Mathematiker und Physiker studierte bei KRH Sonderborg und Georg Baselitz und hat die Stiftung „Infinite Sculpture“ gegründet. Zur IBA kam er über die Vermittlung der Galerie Kernweine. In „8 Seconds“ setzt er auf den Dialog zwischen KI und dem Tänzer Friedemann Vogel.