Er gehört zu den Stillen. Seine Sprache ist die Kreativität. Auf diesem Weg hat sich Andreas Felger aus Mössingen in fünf Jahrzehnten einen überaus großen Freundeskreis geschaffen.

Bad Sebastiansweiler - Die Situation hat Symbolwert, allemal aber ist sie symptomatisch: Draußen, auf der nahen Bundesstraße, rauscht und dröhnt unablässig der Verkehr, drinnen, im verklärenden Licht der Kapelle, dominieren Ruhe und Beschaulichkeit – vor allem aber farbliche Fülle. Das alte Gotteshaus inmitten des Kurparks von Bad Sebastiansweiler, einem Stadtteil von Mössingen, dient dem Maler und Grafiker, Zeichner und Holzschneider Andreas Felger als Atelier und Bollwerk gegen die lärmende und modisch vernarrte neue Zeit. „Dieser Künstler“, schreibt der renommierte Bonner Kunsthistoriker Frank Günter Zehnder, „unterliegt nie äußeren Einflüssen, orientiert sich nicht am Markt und zeigt dem Mainstream die kalte Schulter“.

 

Szenenwechsel: An einem Samstagnachmittag Anfang des Monats in Nürtingen. Die schon etwas schläfrige Geschäftigkeit im Städtle und der auslaufende Besorgungsstress der Passanten werden jäh unterbrochen durch eine Art Sternmarsch hin zu einer Galerie in einem restaurierten Ackerbürgerhaus. Dort werden vom Keller bis unters Dach Holzschnitte Felgers aus vier Jahrzehnten gezeigt – und das Haus verkraftet nur schwer den Interessentenansturm aus dem ganzen Land. Und wieder zeigt sich Symptomatisches: Der Künstler verschwindet während des Vernissagenrituals aus Streicherduo, Begrüßung durch die Galeriechefin, Grußworten der Bürgermeisterin und einer Laudatio fast unbemerkt hinter einem Seitenflügel der Eingangstür. Nach der ganzen Prozedur scheint er froh zu sein, wie zur Feier des Tages endlich in einem knapp bemessenen Treppenwinkel im Schaffschurz kleinere Holzdrucke produzieren zu können.

Als Laudator hatte der Mainzer Publizist Oliver Kohler Felgers „Bescheidenheit und Demut“ hervorgehoben und ihm „die Züge eines schwäbischen Tüftlers“ attestiert. Sollte es stimmen, dass der 78-jährige Felger den Mainstream scheut und ihm gänzlich die kalte Schulter zeigt, dann übt sich eine mit ihm gewachsene und gereifte Fangemeinde schon jahrzehntelang im Schulterschluss. Eine sonderliche Kunst ist das freilich nicht, schließlich sind die Werke des Mannes aus Mössingen-Belsen im Kreis Tübingen reich an Farben und Formen, sie machen grafisch und optisch etwas her und haben somit auch einen nicht zu unterschätzenden dekorativen Wert.

Musterzeichner bei Pausa

Dekoratives hat im Leben des Andreas Felger schon immer eine große Rolle gespielt, immerhin stand am Beginn seines künstlerischen Werdegangs eine Lehre als Musterzeichner bei der Mössinger Textildruckerei Pausa. Streng genommen war indes auch dieser Schritt bereits vorgezeichnet, hatte doch der Bauernbub schon als junger Spund von acht Jahren kaum ein Holzbrettle oder einen Zeitungsrand ausgelassen, um darauf zu schnitzen oder zu zeichnen. Das schöpferische Talent des angehenden Lehrlings wurde dann auch rasch vom künstlerischen Leiter der Pausa, Willy Häussler, erkannt. Sollte der junge Mann ursprünglich die (ungeliebte) Laufbahn eines Stoffdruckers einschlagen, so stellte Häussler die Weiche umgehend um: „Der muss sofort in die Musterzeichnerei!“ Nach der Lehre hat man dem erst 18-Jährigen angeboten, zum Abteilungsleiter aufzusteigen, doch der lehnte ab und sagt rückblickend: „Ich wollte immer frei sein.“

Die Freiheit sah dann so aus, dass der junge Belsener an der Münchener Akademie der Bildenden Künste ein Studium begann und dort dank der Empfehlung Häusslers in näheren Kontakt mit dessen früherem Lehrer, dem Textildesigner und Innenarchitekten Professor Josef Hillerbrand kam. Offenbar war Hillerbrand vom Können Felgers überzeugt, denn er erkor ihn zu seinem Meisterschüler.

Zudem begann der Novize aus dem Schwäbischen, bei Studienreisen in verschiedene Mittelmeerländer, die Welt zu erkunden. Ob als Student, Stipendiat oder schließlich als freischaffender Textildesigner – die Pausa war für Andreas Felger lange Zeit eine Art existenzielle Rückversicherung, insbesondere während der Zeit des Testens und des Vortastens als freier Künstler. Seine Entwürfe landeten in bester Gesellschaft auf dem Prüftisch des einstigen Mössinger Trendsetters, denn auch Willi Baumeister und HAP Grieshaber zählten zu den Ideenlieferanten der Traditionsfirma.

Mit 35 siedelte er samt Familie ins Hessische über, um sich einer christlichen Bruderschaft anzuschließen. Damals verlegte er sich hauptsächlich auf Holzschnitte oder auch die Glasmalerei, orientierte sich viel an geistlichen Motiven, auch setzte Felger die Werke namhafter Komponisten mit künstlerischen Mitteln um. An die Möglichkeit, mit seinen Arbeiten einmal Ausstellungen bestreiten zu können, habe er seinerzeit noch nicht gedacht, sagt er. Mitte der 1970er Jahre wurde das Denken indes konkret: Götz Adriani, der Leiter der Tübinger Kunsthalle, eröffnete eine erste Einzelausstellung Felgers innerhalb der Pausa-Kunstsammlung – und damit war der Bann gebrochen. Bis dato sind die Schöpfungen des Künstlers in mehr als 500 Ausstellungen rund um den Globus zu sehen gewesen.

Die andere Sicht auf die Alb

„Man sieht von dort wunderbar auf die Alb“, sagt Andreas Felger von seinem Elternhaus, das er heute mit der Familie bewohnt. Was den Reiz des Anblicks von Farrenberg und Dreifürstenstein angeht, sind ihm freilich erst während seiner hessischen Zeit bei gelegentlichen Besuchen in der alten Heimat die Augen aufgegangen. Die Entdeckung fiel mit der verstärkten Hinwendung zum Aquarell zusammen, eine inhaltlich-handwerkliche Synthese entstand, die Felgers Popularität vornehmlich unter dem landsmannschaftlichen Vorzeichen zementierte. Da war einer, der beispielsweise die Schwäbische Alb so anders, aber für viele gleichwohl richtig sah, nämlich reduziert auf ein fulminantes, sich verschmelzendes Farben- und Formenspiel zwischen Tal, Berg und Himmel. Kein Wunder, dass diese Lyrik mit anderen Mitteln in Bildbänden gerne mit klassischen und zeitgenössischen Dichterworten verknüpft worden ist.

Mit Fünfzig setzte Andreas Felger zum kunstmedialen Dreisprung an, zu Holzschnitt und Aquarell gesellte sich die Ölmalerei im großflächigen Stil. Unter dem Titel „Malen wie Atmen“ haben die Kunstsammlungen Chemnitz 2012 eine Retrospektive mit Ölgemälden Felgers aus dem vergangenen Jahrzehnt gezeigt. Dabei ähneln im Geflecht der sich kreuzenden Linien und Schraffuren, der tanzenden Tupfer und Wellenströme, der Schichten und Verschachtelungen die Deutungen einer „Rasterfahndung“. Wer die Kompositionen mit Felgers Musterzeichnervergangenheit erklärt, rennt bei dem Künstler offene Ateliertüren ein. „Heute kommen meine früheren Stoffentwürfe wieder in den Bildern vor“, sagt der Künstler.

„Vergangenes ist präsent als Untergrund des Gegenwärtigen“, hat denn auch Oliver Kohler der Nürtinger Präsentation von 200 Farbholzschnitten sowie etlichen Skulpturen Felgers vorausgeschickt. Alle Arbeitsstile, so der Laudator, würden sich gegenseitig und gleichzeitig inspirieren, eine Einschätzung, die auch im verschachtelten Titel „Der Maler im Holzschneider“ zum Tragen kommt. Die Schau, die nach mehr als 30 Jahren im süddeutschen Raum wieder viele Beispiele aus dem reichen Œuvre felgerschen Schaffens zusammenführt, manifestiert die ganze Vielseitigkeit des Künstlers. Die zeigt sich nicht nur beim Rückblick, sondern weist auch in die Zukunft. So zeichnet sich im Kurpark von Bad Sebastiansweiler bereits recht konkret ein Skulpturengarten mit Felgers Handschrift ab.