Herr Rennebarth, die Quaggamuschel wurde im Jahr 2016 erstmals im Bodensee entdeckt. Wie weit ist sie heute verbreitet?
Nach unserem Kenntnisstand ist die Quaggamuschel mittlerweile in allen Teilen des Sees verbreitet. Auf harten Unterlagen finden sich Muscheln in mehr als 80 Metern Tiefe. Auf den weniger gut zu besiedelnden weichen Sedimenten kommen die Muscheln bis etwa 65 Meter Tiefe vor, vereinzelt auch noch darunter.
Woher wissen Sie das?
Wir haben mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug den Seegrund per Video untersucht. Dabei konnten wir gut sehen, von welchen Tiefen an die Muscheln im See vorkommen.
Wie wurde die Quaggamuschel eingeschleppt? Eigentlich ist sie ja am Schwarzen Meer zu Hause.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Relativ wahrscheinlich ist, dass die Muschel über Boote in den See gebracht wurde. Denkbar ist aber auch, dass von den nicht allzu weit entfernten Muschelvorkommen etwa am Rhein unterhalb des Rheinfalls über Wasservögel Muscheln oder Muschellarven eingeschleppt wurden. Was es im konkreten Fall wirklich war, ist nicht eindeutig festzustellen.
Hat sie im See natürliche Feinde?
Verschiedene Wasservogelarten wie Tauchenten oder Watvögel fressen Muscheln. Die Wasservögel können aber nicht in größere Tiefen vordringen. Unterhalb von 15 Metern kann sich die Muschel im See deshalb weitgehend ungehemmt entwickeln.
Welche Auswirkungen hat die Ansiedlung und Verbreitung der Quaggamuschel für die einheimische Tier- und Pflanz enwelt des Bodensees?
Dazu laufen derzeit noch Untersuchungen. Unser Projekt „See-Wandel“ befasst sich zurzeit mit der Frage, wie sich die Ansiedlung von Neozoen, also nicht heimischer Tierarten, auf die Lebensgemeinschaft im Bodensee auswirkt. Das ist ja nicht nur die Quaggamuschel, dazu gehören unter anderem auch der Stichling oder verschiedene Krebsarten. Der Stichling ist zwar ein einheimischer Fisch, war aber früher nicht im Bodensee beheimatet, weil er eigentlich kein Freiwasser mag.
Und was sind die Folgen?
In den Massen, in denen die Quaggamuscheln den Seegrund besiedeln, werden sie zu Nahrungskonkurrenten im See. Die Muscheln filtrieren das Plankton aus dem Wasser. Deshalb ist eine Abnahme des Planktons im See zu erwarten.
Frisst die Quaggamuschel den Bodenseefelchen also das Futter weg?
Das können wir noch nicht genau sagen. Um herauszufinden, wie viel Plankton die Muscheln dem See tatsächlich entziehen, muss man noch die Ergebnisse der Forschungsarbeiten abwarten. Dann kann man auch abschätzen, wie groß die Effekte sind und ob es vielleicht auch einen Zusammenhang mit dem Rückgang der Felchenbestände gibt.
Gibt es bereits Tier- und Pflanzenarten im Bodensee, die durch die Ansiedlung von Neozoen bedroht oder gar schon verschwunden sind?
Ja, die gibt es. Die heimischen Edelkrebse wurden durch die Krebspest nahezu ausgerottet. Verbreitet wird diese Krankheit durch eingeschleppte nordamerikanische Krebse. Die sind resistent gegen die Krebspest, übertragen aber die Erreger. Auch die heimischen Maler- und Teichmuscheln sind weitgehend aus dem Bodensee verschwunden. Als Mitte der 60er Jahre die Dreikantmuschel im Bodensee auftauchte, wurden die heimischen Muscheln von den Neueindringlingen regelrecht zugewuchert – mit der Folge, dass ihre Beweglichkeit und Nahrungsaufnahme stark eingeschränkt war.