Zwischen Kunst und Architektur: Das Museum Ritter in Waldenbuch zeigt „Raumwunder“ – eine Ausstellung, die den Sammlungsschwerpunkt „Quadrat“ diesmal etwas lockerer auslegt.

Stuttgart - Vier Ecken für ein Halleluja! Es waren moderne Gestaltungsschulen wie das Bauhaus, die in der geometrischen Ikone des Quadrats ein profanes Gotteslob sahen, das sie gestalterisch auch deshalb anstimmten, weil man glaubte, der Menschheit durch strengwinklige Häuser ein irdisches Paradies bereiten zu können. Was von diesen Utopien übrig geblieben ist, steht nun im Museum Ritter in Waldenbuch. „Plattenbau“ nennt sich die kubische Elementarbehausung, die der Schweizer Künstler Beat Zoderer im Erdgeschoss errichtet hat – aus Pressspanplatten. Wo die Billigfertigung und der Titel auf die realsozialistische Praxis der Menschenbehausung anspielen, greifen die Quadratgestalt und das Weiß der Bauelemente noch einmal jene Träume auf, die den Anfang der architektonischen Moderne markierten.

 

Konstruktive Kunst und Architektur stehen sich in ihrer Liebe zum Vierkant so selbstverständlich nah, dass man meist gar nicht mehr darüber nachdenkt, welche Rolle Raum und Bau in geometrischen Bildern spielen. Genau dieser blinde Fleck beschäftigt das Waldenbucher Privatmuseum in seiner Gruppenschau „Raumwunder“, die den Sammlungsschwerpunkt „Quadrat“ diesmal etwas lockerer auslegt.

Auf die Billigmoderne fliegen nur noch Meisen

Mit nur sieben Positionen ist die Künstlerauswahl begrenzt, doch die zumeist installativen oder skulpturalen Arbeiten überraschen nicht nur durch ihre raffinierte Form- und Materialkombinatorik. Einigen nämlich gelingt etwas, das von Konstruktivisten sonst programmatisch verneint wird: der Bezug zur Lebenswelt. So rechnet der im sozialistischen Ungarn aufgewachsene Tamás Kaszás mit planwirtschaftlicher Wohnpolitik ab. Alte Armiereisen, Gipsplatten und andere Bauabfälle fügen sich zu verdreckten Modellen zusammen – ein letztes Mal funktionalistische Architektenvisionen, politisch längst ohne Zukunft. Im skeptischen Weltbild des ungarischen Künstlers sind Utopien nichts als Bauschutt von gestern. Deutlicher noch werden seine konstruktivistischen Vogelhäuschen: Auf Billigmoderne fliegen nur noch Amseln und Meisen.

Zwar hätte man sich noch weitere Auseinandersetzungen mit Fragen von Wohn- und Stadtästhetik gewünscht, aber auch die an formalen Raumproblemen interessierten Beiträge können etwas bieten. Annett Zinsmeisters verwirrend gerasterte Innenarchitektur etwa lässt jene virtuell-geometrischen Abgründe, wie man sie von Op-Art-Altmeister Victor Vasarely kennt, dreidimensionale Realität werden. Dagegen schielt die Hängeskulptur des Schweden Jacob Dahlgren mit satirischem Auge auf populäres Wohndesign. Der Kubus besteht aus nichts als Hunderten von Seidenbändern, der ganze Raum ist ein Vorhang.

Noch leichter geknüpft aber sind die faszinierenden Wandkästen von Manuel Knapp. Aus simplem Baumwollgarn, das der Künstler kreuz und quer aufspannt, entstehen fantastische Städte und geometrische Ideallandschaften. Ein magisches Theater, spinnenfleißig gewebt, perspektivisch angelegt und beziehungsreich instrumentiert mit Rhomben, Vierkantblöcken und Spitzkegeln. UV-Strahler bringen die textilen Raumzeichnungen zauberhaft zum Glühen: eine fast überirdische Präzision aus Fäden, Farben, Licht. Halleluja!