Im zweiten Jahr der Pandemie mit langen Schließungen dominieren Minuszahlen die Besucherstatistik der Stuttgarter Museen. Dabei wird die Akzeptanz digitaler Angebote nicht erfasst.
Es war im zweiten Jahr der Pandemie nicht anders zu erwarten: Fast fünf Monate lang haben die Museen 2021 auch in Stuttgart schließen müssen. Wie soll da die Statistik der Besucherzahlen anders aussehen als eine Zahlenkolonne im Minus. Aber es gibt Ausnahmen – an der Spitze die Staatsgalerie. Gefolgt von kleinen Einrichtungen, die als Ausflugs- oder Freiluft-Ziel groß rauskommen. Dass aber Zahlen nicht allein aussagekräftig sind, wie Ulrike Groos, die Direktorin des Kunstmuseums, stets betont, bewies der Kritikerverband, der das Haus am Schlossplatz zum Museum des Jahres 2021 kürte. Das Besucherminus von 40 000 spielte dabei keine Rolle.
Kunstmuseum übertrifft die kalkulierten Erwartungen
„68 300 Besucher, auf den ersten Blick eine niedrige Zahl, haben unsere vorsichtig kalkulierten Erwartungen erfreulicherweise sogar leicht übertroffen“, versichert Isabel Kucher vom Kunstmuseum. Die Freude der Besucher, als Mitte Mai endlich wieder geöffnet werden konnte, sei anhaltend groß gewesen, 2G-Kontrollen und Einlassbegrenzungen wurden klaglos akzeptiert, Veranstaltungen und Führungen gut gebucht.
„Mit allen Sinnen“ war der Renner
Die Staatsgalerie sticht mit einer deutlichen Steigerung der Besucherzahlen von 76 636 auf 108 931 hervor. „Der Hunger nach der sinnlichen Begegnung mit Kunst war deutlich spürbar“, erklärt Pressesprecher Nicolas Flessa: „Die Ausstellung ‚Mit allen Sinnen‘, die wir im Herbst 2020 eröffnen konnten, wurde 2021 zu einem solchen Renner, dass wir sie bis September verlängert haben.“
Die Kunstbegeisterung und die Treue des Publikums belegt Flessa mit einem bemerkenswerten Aspekt, der sich nicht in der Statistik niederschlägt: „Im ersten Jahr der Pandemie haben sich unsere digitalen Besucherzahlen innerhalb eines Jahres vervielfacht.“ Nicht nur als Notlösung, glaubt Flessa. Man beobachte grundsätzlich ein gesteigertes Interesse an digitalen Angeboten, die das Haus daher noch einmal stark erweitert habe.
Teilnehmerzahlen bei Führungen eingeschränkt
Von knapp 39 000 auf 37 000 Besucher: Das ist das Bilanz, die Corona dem Landesmuseum im Alten Schloss eingebrockt hat. „Wir haben mit Rücksicht auf die Gesundheit der Besucher und Mitarbeiter auch die Teilnehmerzahl bei den Führungen stark eingeschränkt“, erklärt Pressesprecherin Heike Scholz. Doch das Alte Schloss bietet seit September 2021 eine besondere Attraktion: die neu gestaltete Dürnitz, die mit dem gut geführten Café und Veranstaltungen ein Besuchermagnet geworden ist. Ob und wie oft dieses Entree auch zum Besuch der Ausstellungen motiviert, wisse man noch nicht.
„Der Besuch der Schulklassen, sonst neben Familien und Kindern unsere stärkste Besuchergruppe, ist praktisch zusammengebrochen“, erklärt Pressesprecher Ulrich Schmid von den Staatlichen Museen für Naturkunde im Schloss Rosenstein und am Löwentor das Minus von 3000 Besuchern. Digitale Angebote seien „ein Notbehelf, aber extrem aufwendig und nicht kostendeckend“. Umso glücklicher sei man, dass die Landesausstellung über das Anthropozän im Schloss Rosenstein auf hohe Resonanz trifft.
Rosenstein-Quartier interessiert die Menschen
Der Begriff Stuttgart-Rosenstein gewinnt noch eine neue Bedeutung: So heißt das Stadtquartier, das von 2026 an auf den alten Gleisflächen entstehen soll. Über dieses Stadtentwicklungsprojekt informiert seit Oktober 2021 eine Ausstellung in der Eichstraße 9, gleich hinterm Rathaus: Das Modell auf 25 Quadratmetern habe in den ersten vier Wochen 2000 Interessierte angezogen.
Wie groß das Interesse der Bürger an der Stadtentwicklung ist, beweisen auch die 22 125 (2020: 11 000) Besucher im Turmforum des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm.
Als dramatisch muss die Besuchereinbuße des Linden-Museums von 61 331 auf 17 537 bezeichnet werden. „Die Pandemie“, sagt dazu Pressesprecher Martin Otto-Hörbrand, „hat auch in unsere Planung eingegriffen.“ Die Große Sonderausstellung „Von Liebe und Krieg. Tamilische Geschichte(n) aus Indien und der Welt“ musste verschoben werden und startet am 8. Oktober. Die Ausstellung über das „Schwierige Erbe des Linden-Museums im Kolonialismus“ habe nicht so viele Besucher angezogen. Außerdem würden Maskenpflicht und Kontrollen vielen die Lust aufs Museum vergällen.
Viele Museen liegen unter den Erwartungen
Von einem „äußerst bescheidenen Niveau“ spricht Joachim Rüeck vom Haus der Geschichte bei 24 292 (2020 waren es noch 30 235) Besuchern. Das Publikum sei nach dem langen Lockdown nur sehr zögerlich zurückgekehrt, darunter habe die Ausstellung „Gier. Was uns bewegt“ mit nur 10 000 Besuchern stark gelitten. Dafür habe jetzt „Hass“, der zweite Teil der Emotionen-Trilogie, in den ersten sieben Wochen schon 3000 Menschen angezogen.
Die Minus-Reihe lässt sich fortsetzen und betrifft das Stadtpalais ebenso wie die Lern- und Gedenkstätte Hotel Silber, das Hegel-Haus, das Muse-O und das Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier trotz der erfolgreichen Ausstellung „Kinder der Moderne – Growing up Modern“.
Das Mercedes-Benz-Museum bleibt an der Spitze
Nur 1573 beziehungsweise 0,6 Prozent weniger Besucher: Damit ist das Mercedes-Benz-Museum sehr zufrieden. Die Gäste seien vor allem aus den benachbarten Ländern gekommen, aus China, 2019 noch stark mit 75 000 vertreten, konnten nur etwa tausend und aus den USA knapp über 4000 (2019: 30 000) begrüßt werden. Etwas mehr, knapp 30 000, büßte das Porsche-Museum bei 127 021 Besuchern ein.
Groß kommen die Kleinen raus: Die Ausstellung über die „Zwanziger Jahre in Weil im Dorf“ hat die Besucherzahl in der Heimatstube von 96 auf 510 hochkatapultiert. Das Landwirtschaftsmuseum in Hohenheim mit 400 Besuchern mehr, das Städtische Lapidarium (plus 1000), das Haus des Waldes (plus 5000) und das Weinbaumuseum mit 1000 Besuchern mehr haben vom coronabedingten Trend zu Ausflügen und der geringeren Ansteckungsgefahr in frischer Luft profitiert. Denn auch zur Grabkapelle Rotenberg pilgerten 100 Besucher mehr als sonst. Und nach dem Spaziergang in den Weinbergen winkt im Weinbaumuseum vielleicht sogar ein Viertele.