Dem Musical „Ghost“ gelingt bei seiner Stuttgarter Premiere im Palladium-Theater eine perfekte Balance zwischen Tragik und Komik, Action und Taschentuch-Momenten. Nur am Ende wird’s ein bisschen zu kitschig.

Stuttgart - Vorsichtig, ganz vorsichtig bewegt der junge Mann seine rechte Hand. Führt sie dicht an die Tür, zögert, bohrt dann langsam erst einen Finger durch das Holz, dann zwei. Die Hand verschwindet, und nach und nach folgt ihr der ganze Körper des Mannes, der kein Körper mehr ist, sondern nur noch geisterhafte Form. Sam ist tot, es ist sein Schatten, der jetzt Mauern und Absperrungen überwindet und der Held einer Geschichte um Liebe, Totschlag und (Finanz-)Betrug wird. Im Kinofilm „Ghost – Nachricht von Sam“ hat der sehr lebendige Geist des Toten die Tür trotz der 1990 noch vergleichsweise beschränkten technischen Möglichkeiten eindrucksvoll passiert, und jetzt sorgen Licht und Tricks dafür, dass dasselbe auch live auf der Bühne passiert. Die große Illusionsmaschine Musical hat mit „Ghost“ ein dankbares Objekt gefunden – und im Palladium-Theater erlebt das Publikum ein spannendes, exzellent gearbeitetes, gut gesungenes Stück. Gefühl und Action, Komik und Taschentuch-Momente halten sich hier tatsächlich so gut die Waage, dass man sich fragt, warum man schon jetzt weiß, dass ausgerechnet dieses Stück im März abgespielt sein wird und also enden muss.

 

Die Qualität fußt auch an der Vorlage: Der Hollywood-Film mit Patrick Swayze, Demi Moore und Whoopi Goldberg hat trotz seines Alters nur wenig Patina angesetzt, und der musikalische Hit des Streifens, die „Unchained Melody“ der Righteous Brothers („Oh, my love, my darling / I’ve hungered for your touch“), taugt gut als Basis für den perfekt zwischen Schnulze und Gospel, Schlager und Rock angesiedelten Musical-Soundtrack, den Dave Stewart und Glen Ballard für die Londoner Uraufführung 2011 komponierten. Ob’s damals am Westend oder 2017 bei der Deutschlandpremiere im Berliner Theater des Westens aber auch so laut zuging wie jetzt unter Boris Ritters Leitung im Palladium-Theater? In Stuttgart jedenfalls fressen sich immer wieder die Beats und die wummernden Basstöne des Stücks tief in die Eingeweide des Publikums; das tut weh, und das müsste nicht sein, weil die Musik auch ohne die Phonstärken wirken würde.

Der Geist in der U-Bahn ist mit allen Wassern des Hardrocks gewaschen

Sehr eng, manchmal sogar wortgenau bleibt das Musical bei seiner filmischen Vorlage – wenn einmal ein Poster als Relikt aus Sams Singlezeit einen alten Sessel ersetzt oder Oda Maes Lust auf Konsum in eine fetzige Choreografie gepackt wird, dann ist das schon richtig viel. Da ist Molly (Roberta Valentini), die junge Frau und Künstlerin, die töpfert und Skulpturen schafft; da ist Sam (der Sänger-Star des Abends: Riccardo Greco), ihr Freund, ein Banker, der seine Freundin vergöttert, ihr aber die heiß ersehnten drei süßesten Worte verweigert; da ist sein Buddy und Kollege Carl (Thomas Hohler), der in sinistre Geschäfte verwickelt ist. Und da ist schließlich Oda Mae (Kim Sanders), ein Medium. Sie wird zur Schlüsselfigur, nachdem Sam auf der Straße ermordet worden ist, weil sie als Einzige die Stimme des Geistes hören und für die anderen übersetzen kann. Mal atemlos, mal belustigt verfolgt man, wie der Verblichene, dessen Äußerungen die Technik mit wirkungsvollem Nachhall garniert, bei exzellent arrangierten, fließenden Szenenwechseln in das Leben der Lebenden eingreift. Oda Maes zwei überdrehte Assistentinnen (Chasity Crisp, Bianca Atalaya) zelebrieren hinreißend Spiritual- und Gospel-Posen, Enrico Treuse gibt einen U-Bahn-Geist, der mit allen Wassern des Hardrocks gewaschen ist, und drumherum erlebt man virtuos singende Solisten in kleineren Partien ebenso wie klasse tanzende Ensembles.

Manches ist ein bisschen tränendrüsig, sodass der eine oder die andere die allerorten ausgelegten Taschentücher brauchen mag. Das meiste aber wird zügig, oft auch augenzwinkernd erzählt, und perfekt fügt sich die Illusion ins Bühnenspiel. Wie sich da, ohne dass man sähe, wie dies wohl möglich ist, aus toten Körpern die geisterhaften Doppelgänger lösen, wie die Bösen, getragen von Lichtwirbeln von der Hinterbühne, förmlich in die Hölle hineingesogen werden, wie sich von Geisterhand Stühle auf der Bühne bewegen und Zeitungen in die Luft heben: Das hat große Klasse, die von einem elaborierten Sounddesign mit befördert wird.

Man verlässt das Theater mit beschwingter Ohrwurm-Heiterkeit

Und am Ende? Wird alles gut. Man verlässt das Theater mit beschwingter Ohrwurm-Heiterkeit. Die Bösen sind weg, die Guten mit Leben und Tod versöhnt, und bevor sich Sam, der Geist, nach vollbrachter Aufgabe in Richtung Himmel verabschiedet, gelingt es ihm sogar noch, endlich die drei Worte zu sagen, die er als Lebender nicht über die Lippen brachte. Dass das Musical dem erlösenden „Ich liebe dich!“ des Helden noch einen Nachsatz („Die Liebe in dir, die nimmst du mit!“) hinterher schickt, wäre allerdings nicht nötig gewesen: Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die behaupten, dass Musicals am Ende dann ja doch eher kitschig als Kunst seien. Eigentlich haben sie nämlich unrecht.