Bei der mäßig umjubelten Stuttgarter Premiere des Musicals „Tarzan“  stiehlt der Komponist seinem musikalischen Baby glatt die Show.

Stuttgart - Doch, es gab natürlich wieder Standing Ovations. Aber der Beifall für „Tarzan“ fiel nicht ganz so frenetisch aus, wie es die Musicalmacher von Stage Entertainment am Tag darauf glauben machen wollen. Das lag womöglich am zuckersüßen zweiten Teil des Stücks, der an den Stehtischen im Foyer des Apollo-Theaters kontrovers diskutiert wurde. Unangefochtener Superstar am Premierenabend war ohnehin der Musical-Komponist Phil Collins, der sein „Baby“ nicht etwa von den Wichtig-Reihen vorn, sondern in der Mitte des Saales verfolgte.

 

Entspannter britischer Superstar

Selten war die Diskrepanz größer: Hier die Models und Schmuckdesignerinnen in den High Heels, die scheinbar vor den Kameras auf dem grünen Teppich festklebten und die Fans kaum anschauten. Dort der britische Superstar in dunkelblauem Wolljackett und grauer Hose, der sich bereitwillig von allen fotografieren ließ und der von sich selbst sagt: „Ich bin der ganz normale Typ aus der Vorstadt.“ Was ja nicht heiße, dass es in seinem Leben nicht „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ gegeben habe, aber eben auch die Zeit als Musikrentner in der Schweiz, in der er seine Söhne zur Schule und zum Fußball gefahren habe.

Die Söhne leben mit seiner Ex-Frau inzwischen in Miami, daher ist Collins wieder häufiger in New York, wo seine Freundin, die Journalistin Dana Tyler, lebt. Ab und an schaut er mit seinen beiden jüngsten Söhnen die Genesis-Konzerte auf DVD an, und die Jungs fragen ihn Dinge wie: „Dad, warum hast du so gelacht bei ,Mama‘? Hahahaha.“ Vielleicht hat er gerade deshalb wieder angefangen, Musik zu machen.

Spektakuläre Flugszenen sorgen für Gesprächsstoff

In Stuttgart genoss er es sichtlich, beim Schlussapplaus inmitten der Cast auf der Bühne zu stehen. „Vielen Dank“, sagte er auf Deutsch. Er sei sehr stolz, denn er habe viel Zeit, Energie und Liebe in das Musical gesteckt. Er habe das Stück einige Jahre nicht gesehen und sei sehr dankbar, dass die Show weiterlebe: „Tarzan ist jetzt offiziell in Stuttgart gelandet.“

Darüber waren viele der 1800 Gäste im Theatersaal erleichtert: Kein Darsteller ist abgestürzt. „Das sah echt gefährlich aus“, meinte später Eric Gauthier. Er muss es wissen, schließlich ist er einer der bekanntesten Stuttgarter Tänzer und nahm selbst in der Büfettschlange Huldigungen entgegen. Aber zurück zu Tarzan und den spektakulären Flugszenen: „Die sind bei den Proben bestimmt auch mal zusammengestoßen“, mutmaßte Gauthier.

Im Gegensatz dazu lief die Premiere des Disney-Stücks reibungslos. Kein Vorhang klemmte, die Tontechnik machte keine Mucken. Die Premierenparty verlief ebenfalls unspektakulär, die rauschenden Partys sind passé. Und die afrikanischen Spezialitäten beschränkten sich auf magenfreundliche Mangosoße zum Salat oder Okraschoten zum Fisch.

Rolf Deyhle mahnt mehr Anstrengungen in Stuttgart an

Dazu gab es die üblichen Lobeshymnen der VIP-Gäste. „Ein absoluter Traum. Das ist nicht nur toll, das ist der Wahnsinn“, jubelte Alessandra Pocher, laut der Hochglanzmagazine „Deutschlands bekannteste Ex“. Der Schauspieler Heinz Hoenig beschränkte sich auf das Prädikat: „Sehr sehens- und hörenswert.“ Seine Kollegin Andrea Sawatzki ging der Begeisterung auf den Grund: „Tarzan ist sozusagen meine Jugendliebe. Ein starker Mann ohne Brusthaare. Tarzan und Winnetou wollte ich beide später heiraten.“ Der Stuttgarter Hauptdarsteller Gian Marco Schiaretti überzeugte auch die Expertinnen wie Britta Elstner auf ganzer Linie. Wer vermisst da noch den Hamburger Vorgänger, Ex-„Superstar“ Alexander Klaws?

„Das ist Weltklasse“, urteilte der einstige „Musicalkönig“ Rolf Deyhle, der nicht er selbst wäre, würde er nicht die Stadt kritisieren: „Stuttgart ruht sich zu sehr auf den Erfolgen aus. Man müsste mehr tun.“ Deyhle beteuerte, dass der Stern des Genres in Deutschland nicht am Sinken sei: „Gutes Musiktheater hat ewigen Bestand. Denken Sie nur an Mozarts Zauberflöte.“

Collins rückte die Dinge in ein anderes Licht. Ob Tarzan eine besondere Bedeutung für ihn habe? Tarzan sei nur eine Möglichkeit, mehr nicht. Und ein Musical habe nur einen Zweck: gute Abendunterhaltung zu bieten. Dann bemühte er nochmals seinen Deutsch-Wortschatz: „Guten Abend. Das nächste Stück ist ein altes Stück.“