Insgesamt 16 Produktionen und ein bunter Stilmix: Seit 20 Jahren werden in Stuttgart-Möhringen große Musicals gespielt. Zum Jubiläum blicken wir noch einmal zurück, denn seit den Anfängen hat sich einiges verändert.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Als das Musical-Großunternehmen Stella im Dezember 1994 sein neues Theater in Stuttgart eröffnete, wollte es in der Heimatstadt des Firmenchefs Rolf Deyhle natürlich weder Kosten noch Mühen scheuen: „Miss Saigon“ sollte ein richtiger Knaller werden, sozusagen ganz großes Kino auf der Theaterbühne, als deutsche Erstaufführung eine echte Neuheit für hiesige Augen und Ohren. Der neue Musical-Standort in Möhringen sollte sich so aus dem Stand neben Hamburg und dem Ruhrgebiet etablieren. Immerhin: das große Liebesdrama zwischen dem US-Soldaten Chris und der Vietnamesin Kim, das Giacomo Pucchinis „Butterfly“-Geschichte in die Zeiten des Vietnam-Krieges transferierte, ist vielen Stuttgartern noch heute tatsächlich in Erinnerung: als das Stück „mit dem fliegenden Hubschrauber“.

 

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Constanze Müller, die heute das Apollo-Theater im SI leitet, aber schon 1994 bei „Miss Saigon“ als Produktionsassistentin dabei war, muss bei solchen Gesprächen immer lachen: „Der Abflug des Hubschraubers von der Bühne war technisch schon aufwendig, keine Frage. Aber viel mehr Energie und Kreativität kostete es uns bei den Proben, um das große Ensemble aus der ganzen Welt, vor allem viele Kollegen aus Südostasien, zu einem Team zu bilden.“ Und auch Klaus Wilhelm, der Musikalische Leiter bei „Miss Saigon“ und vieler folgender Produktionen in Stuttgart, meint: „An Budget hat’s damals wirklich nicht gemangelt, da konnten wir meist nach rein künstlerischen Gesichtspunkten entscheiden. Aber in vielen Ländern die passenden Künstler und Musiker zu finden, das war ein schönes Stück Arbeit.“

Bunter Stilmix in 20 Jahren

Fünf Jahre lang gehörte das riesige „Miss Saigon“-Plakat an der Seitenwand des SI-Zentrums zum Stuttgarter Stadt(rand)bild – dann brach ein neues Jahrtausend an, das auch den Musicalmarkt kräftig aufmischte. Aus Stella wurde nach und nach Stage Entertainment. Und an die Stelle von Mammutstücken, die eigentlich für ewige Laufzeiten konzipiert waren, trat ein buntes Potpourri an Produktionen, die zwischen den Musicalstädten hin und her wanderten. Studiert man die Liste der 16 Produktionen, die im Lauf der Zeit in den inzwischen zwei Stuttgarter Theatern zu Gast waren, kommt ein ganz schöner Stilmix zusammen. Beim Stuttgarter Publikum immens beliebt: der „Tanz der Vampire“. Wer als Theatermitarbeiter damals schon dabei war, schwärmt noch heute, mit welcher Konzentration der Filmregisseur Roman Polanski in Möhringen über einige Wochen hinweg seine Geschichte (eigentlich ja eine Filmkomödie von 1967) auf die Bühne brachte. Rechnet man die „Tanz“-Wiederaufnahme 2010 hinzu, kommt die Vampirjagd übrigens auf mehr Stuttgarter Vorstellungen als einst „Miss Saigon“.

Der zweite große Liebling der Stuttgarter heißt „Mamma mia“ (ab 2004) – auch hier dank der Wiederaufnahme 2013 bei der Vorstellungszahl gleichrangig mit „Saigon“. Mit dem Abba-Stück brach in Möhringen die Zeit der Jukebox-Musicals an, also jener Stücke, die eine Zahl längst bekannter Popsongs versammeln, und irgendeine Geschichte wird drumherum gestrickt. Engagierte Freunde des Musicals verziehen da kritisch die Mine. Aber wenn die Geschichte so originell und witzig ist wie bei „Mamma mia“ oder im Udo-Jürgens-Opus „Ich war noch niemals in New York“, muss sich kein Musicaltheater dessen schämen.

Story darf nicht zu schlicht gestrickt sein

Die Story darf aber eben auch nicht allzu schlicht gestrickt sein, wie es der Fall war bei der Queen-Nummernrevue „We Will Rock You“ . Wie überhaupt keineswegs alle Musicals in Stuttgart zum Riesenerfolg wurden. Die mit größter Liebe inszenierte Steptanzrevue „42nd Street“ (2003) verschwand rasch wieder vom Spielplan. Bei den „3 Musketieren“ staubte es 2006 arg aus den Uniformen. Und auch bei „Rebecca“ (2011) hielt sich die Spannung während des Stücks in Grenzen: Eigentlich wartete man die ganze Zeit nur auf das vorab groß versprochene in Flammen aufgehende Haus, das sich zum Schluss aber nur als mäßig kokelnde Treppenstiege entpuppte.

Doch was den Musicalfreund in jedem Fall freut: Stage Entertainment setzt weiterhin auf zwei eigenständige Produktionen in Stuttgart. Und nachdem mit „Tarzan“ im November 2013 ein ebenso turbulentes wie poetisches Stück ins Apollo-Theater gekommen ist, laufen im Palladium nun die Proben für „Chicago“, einen Broadway-Knaller in klassischer amerikanischer Tradition. 20 Jahre Musicalgeschichte in Stuttgart haben einiges verändert. Der musikalische Leiter Klaus Wilhelm stellt fest: „Heute finden wir die Künstler bei Castings im eigenen Land.“ Und das Motto lautet: „All that Jazz“.