Jeden Abend wird aus dem 28-jährigen Victor Petersen ein alter Mann: Im Stuttgarter Musical „Tanz der Vampire“ begeistert er als schrulliger Professor Abronsius. Am Montag zeigt sich der Musicalstar im Renitenztheater in „Eine Frau Schau“ nahezu geschlechtslos.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der in Vechta geborene Sohn dänischer Eltern hat nach seinem Diplom an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München eine rasante Musicalkarriere hingelegt. Noch bis September spielt er bei „Tanz der Vampire“ in Stuttgart den Professor, ehe er in Hamburg die Hauptrolle erneut übernimmt.

 
Herr Petersen, wie lange dauert es, bis ein junger, schöner Mann in einen alten, buckligen Vampirforscher verwandelt ist?
Die Maske braucht 45 Minuten. Für mich ist das eine gute Zeit zum Abschalten. Achtmal in der Woche. In über 450 Vorstellungen habe ich das bisher getan, außer in Stuttgart zuvor auch in München und Berlin.
Sie gehen als junger Mann ins Theater – wie gehen Sie nach der Vorstellung hinaus?
Auch als junger Mann. Dazwischen bin ich alt, aber nur auf der Bühne. Backstage bewege ich mich nicht wie der Professor. Das wär zu anstrengend. Es geht ins Kreuz, wenn man sich immer in der Rolle bewegt. Aber, um ehrlich zu sein, nach acht Shows in der Woche stehe ich daheim mitunter auf wie ein alter Mann, wenn der Rücken schmerzt.
In Ihrem Solo „Eine Frau Schau“ verwandeln Sie sich in eine Person mit nicht ganz klarer Geschlechtszuordnung. Wie kam es dazu?
Das Stück ist im Rahmen meiner Diplomprüfung im Fach Musical an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München entstanden. Dort hat jeder Absolvent zum Abschluss ein Soloprogramm, eine One-Man-Show, zu präsentieren.
Dafür haben Sie mit Ihrem Diplom eine Auszeichnung bekommen.
Ja, das hat mich sehr gefreut. Ich hatte das Privileg, neben meinem Musicalstudium klassischen Gesang im Fach Countertenor studieren zu dürfen, an der Hochschule für Musik und Theater in München. So war für mich ganz klar, dass ich ein Thema wählen muss, dass sich von den oft zementierten Geschlechterrollen abgrenzt, da ich gesanglich neben Musicalnummern auch klassische Arien als Countertenor präsentieren wollte.
Der Countertenor hat keine Kastratenstimme. Wie erklären Sie Laien den Unterschied?
Rein biologisch ist ein Countertenor nicht kastriert und hat nach dem Stimmbruch die Fähigkeit, in höheren Lagen zu singen und so Kopfstimme und Falsett zu nutzen, nicht verlernt und diese Fähigkeit ausgebaut. Countertenöre singen mithilfe einer durch Brustresonanz verstärkten Kopfstimmen- und Falsetttechnik. So spricht ein Countertenor in der normalen Männerlage und hat technisch im Gesang die Möglichkeit, spezielle Teile seiner Stimmlippen zu nutzen, um einen höheren Klang zu erzeugen.
Wie war das früher bei Kastratensängern?
Ihnen wurde im Knabenalter meist lediglich die Samenleiter durchtrennt. Es gab aber noch grausamere Methoden, um so den Stimmbruch zu verhindern, damit ein ausgewachsener Mann weiterhin mit den Stimmbändern eines Knaben gesungen hat. Die Sänger konnten so mit voller Stimme weitaus höhere Lagen erreichen – aber eben, ohne rein zu falsettieren.
Im Musical „Chicago“ spielten sie die Reporterin, die am Ende ein Mann ist. Wie gehen Sie mit Ihrer femininen Seite um?
Ich steh gern zu all meinen Seiten und sehe keinen Grund, auch nur eine zu verstecken. Mit „Eine Frau Schau“ zelebriere ich genau das – eben dieses Nicht-Entscheiden-Müssen: zwischen Mann und Frau, zwischen Musical- und Opernsänger, zwischen Schwarz-Weiß-Film und Farbfilm auf der Bühne. Ich finde es schade, in Schubladen zu denken.
Ihr Stück basiert auf dem Roman „Der Kuss der Spinnenfrau“, in dem es zwei Protagonisten gibt. Sie spielen aber nur eine Rolle. Warum?
Als ich das Buch zum ersten Mal las, fielen mir die Monologe der Molina auf. Das sind Geschichten über Geschichten, von fantastisch bis erschreckend, von fantasievoll bis realistisch. Mich berührte die Freundschaft, die zwischen zwei so unterschiedlichen Personen wächst, zwischen dem politischen Gefangenen, dem Revolutionär Arregui, und Molina. Beide haben das gleiche Schicksal: Sie müssen den Alltag im Gefängnis fristen. Bei mir ist die transsexuelle Molina allein in der Zelle – allein bis auf ihr Spiegelbild. Sie kann immer einen Mann im Spiegel betrachten. So ist immer jemand da, der „zuhört“.
Vor der Premiere von „Kiss Of The Spiderwoman“ ließ Rock Hudson angesichts des nahen Aids-Todes seine lebenslange Karrierelüge vom „Frauenhelden“ dementieren und wurde zum tragischen Helden der Schwulenbewegung. Wie sehen Sie das aus heutiger Sicht?
Meiner Meinung nach hat sich leider gar nicht so wahnsinnig viel getan. Dass Schauspieler, die „Superhelden“ spielen, nicht offen zu ihrer Homosexualität stehen können, weil sie als weniger männlich gelten könnten, finde ich furchtbar. Das ist nicht nur bei Fußballprofis so. Ein Coming-out tangiert immer noch die Leute. Und so etwas mag in weniger Angeboten für Schauspieler resultieren, was ich für eine Schande halte.
Bei den Vampiren sind Sie ein alter Mann, im Soloprogramm die transsexuelle Molina. Was davon hat Victor Petersen privat?
Ich glaube, ich habe viel von beiden: auf jeden Fall die wandelbare Stimme, meinen Perfektionismus und meinen Körper – denn den gebe ich als Schauspieler beiden Figuren, auch wenn sie so wahnsinnig unterschiedlich sind. Aber das macht gerade den Reiz aus. Ich glaube, dass beide Rollen zwangsläufig mit mir etwas zu tun haben müssen. Vor allem im Probenprozess, also im Prozess des Entdeckens und des Kennenlernens, kann ich so eine Rolle nicht einfach wie ein Kostüm an- und ausziehen.
„Eine Frau Schau“, 31. Juli, 20 Uhr, Renitenztheater. Karten unter 0711 / 29 70 75 oder unter www.renitenztheater.de. Weitere Infos unter www.Victor Petersen.de.