Menschen in Seniorenheimen leiden unter dem coronabedingten Verbot von Besuchen. Um den Bewohnern Positives zu bieten, gibt es vielerlei Musikangebote. Freiwillige spielen in Gärten und auf Parkplätzen, Choräle und Schlager finden großen Anklang.

Strohgäu - Rein ins Haus dürfen sie nicht, die Klänge der Trompete und des Eufoniums, ein Zwischending zwischen Horn und Tuba, aber überwinden spielend den Gartenzaun des Spitalhofs in Münchingen. „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“ spielen Mirjam Schlotz (30) und Karin Vogt (40). Hinter dem Zaun sitzen sechs oder acht ältere Frauen, am kühlen Dienstagvormittag dick eingepackt in warme Jacken oder Decken. Sie strahlen. Mehrmals in der Woche spielen die beiden jungen Frauen für die alten Menschen, gelegentlich verstärken Karin Vogts Kinder oder ihr Mann die kleine Truppe. Begeisterung und Beifall sind der Dank für sie.

 

Manchmal kullern Tränen

Die Familie aus Münchingen und die Leiterin des örtlichen Posaunenchors haben mit dieser Aktion vor ein paar Wochen angefangen. Es sei ihr „einfach ein Anliegen gewesen“, erzählt die 30-jährige Dirigentin, den alten Menschen im Seniorenheim in coronabedingten kontaktarmen Zeiten eine Freude zu machen. Familie Vogt stieß dazu – und ihre Musik kommt an. Außer den Zuhörern im Garten sitzen andere am offenen Fenster ihres Zimmers. Alle lächeln. „Die Menschen erzählen davon noch tagelang“, berichtet die Hausleiterin Susanne Vogt. Gelegentlich kullere auch eine Träne.

Beim „Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn“ singen manche mit. Und als die Musikerinnen nach knapp einer halben Stunde die Noten zuklappen, ruft die Heimbewohnerin Marianne Siegle „spielet noch eins“. „Lobet und preiset den Herrn“ ist dann die letzte Zugabe. Augen, die noch vor 20 Minuten so müde schienen, sind jetzt hellwach und strahlen, Lippen bewegen sich. Mit einem „es war so schön“ werden die beiden verabschiedet. Am Donnerstag kommen sie wieder.

„Kultur am Fenster“ nennen sie im Spitalhof die Veranstaltungsreihe, die im April gegründet wurde. Es gebe nicht nur die Konzerte, durch die Kontaktarmut gelindert werden soll. Am 27. Mai komme die Truppe „Dein Theater“, erzählt Patricia O’Rourke. „Alles ist eine wunderschöne Abwechslung“, berichtet die Heimleiterin, „die alten Leute sind im Glück.“ Auch Pfarrer Martin Hirschmüller habe schon einen Gottesdienst im Freien gehalten.

Und plötzlich tanzt die Seniorin

Andernorts im Strohgäu läuft es ähnlich. So spielen Mitglieder des CVJM-Posaunenchors aus Korntal regelmäßig dreimal in der Woche vor dem Altenzentrum der Brüdergemeinde in Korntal und dem Pflegeheim auf dem Roßbühl. „Das wird sehr dankbar angenommen“, berichtet der Chorleiter Jörg Bartmann, „wir spielen fast ausschließlich Choräle, die die Leute kennen.“ Esther Zimmermann, die Leiterin des Altenzentrums, empfindet für die Musiker große Freude und Dankbarkeit. „Nach denen können Sie seit dem 22. März die Uhr stellen“, sagt sie. „Die Bläsermusik tut gut und ermutigt in dieser angespannten Zeit.“ Nach dem Spielen in der Friederichstraße gehen die Musiker zum Roßbühl und stimmen dort ihre Klänge an – und die Schlussakkorde gehen in das Abendläuten der Kirchenglocken über. Ein bewegender Moment vor der anbrechenden Nacht.

Im Guldenhof in Ditzingen-Hirschlanden kommen die Musiker Dienstagnachmittags und am Sonntag – bis jetzt seien es immer andere gewesen, erzählt Sigrid Hessler. „Wir bekommen viele Angebote und verteilen dann die Termine“, sagt die Heimleiterin. Alle Bewohner seien gut gelaunt und würden lachen, manche hätten sogar schon mitgetanzt. Das erlebt auch Brigitte Bahr vom Haus Friederike in Ditzingen. Sie ist für den Sozialdienst im Haus angestellt – und kam auf die Idee, das Klavier auf seinen Rollen zu den Menschen zu bringen und selbst darauf zu spielen. So gibt sie regelmäßig ein kleines „Flurkonzert“ in den Bewohnerbereichen. „Heute hat sogar eine Frau zur Melodie eines ‚Schreit-Tanzes’ selbst ein Tänzchen gewagt“, erzählt sie begeistert. Zudem kommen regelmäßig Ehrenamtliche, die auf der Straße vor dem Haus singen. Alle Musik-Angebote würden dazu beitragen, die trübe Stimmung etwas aufzuheitern.

Das Draußen kommt nach Drinnen

Diese Erfahrung macht man auch im Breitwiesenhaus in Gerlingen. Dort treten regelmäßig Duos auf, oder auch der semiprofessionelle Einzelmusiker Klaus Duttle. Er bringt eine ganze Band mit – elektronisch in seinem Keyboard. Und er spielt live dazu auf der Gitarre und singt. Sein Repertoire ist weltlicher Art, von bekannten Helene-Fischer-Schlagern bis zu Frank-Sinatra-Songs. An diesem Mittwoch kommt er wieder, und vielleicht erklingt dann der Evergreen „New York, New York“. „So können wir das Draußen ins Haus bringen“, sagt der Geschäftsführer Falko Piest, „das ist ein Highlight im Alltag.“ „Solche Impulse stellen das Positive im Leben dar“, fasst die Sozialbetreuerin Hanna Massini zusammen. „Es tut den Menschen gut. Unsere Bewohner sind an solchen Tagen viel ausgeglichener.“