Chorleiter Tibor Farago gibt am E-Piano den Takt vor. Foto: /Ines Rudel
Ein queerer Chor singt in diesem Jahr beim Schwörfest und beim Christopher Street Day in Esslingen. Unabhängig von der sexuellen Orientierung ist die Gruppe für alle Interessierten offen. Und mit den Auftritten will die Gruppe ein politisches Zeichen setzen. Ein Bericht von der ersten Probe.
Bevor der Chor-Workshop „Esslingen singt quer“ starten kann, teilt Leiter Tibor Farago die Anwesenden je nach Tonlage in drei Gruppen ein. Nach ein paar Aufwärmübungen geht es an die Lieder. „So wie ich bin“, „Egal was andere sagen“ oder „Frieden“ lauten die gesungenen Titel.
„Wir wollen hier eine neue Community finden“, sagt eine Ukrainerin, die zusammen mit einer Freundin und deren Tochter zum ersten Treffen gekommen ist. Die Frauen flüchteten vor rund zwei Jahren vor dem Krieg in ihrer Heimat. Dass sie nun bei der Probe im Esslinger Kulturzentrum Komma gelandet sind, dürfte Farago freuen. Er verfolgt mit seinem Workshop das Ziel, Menschen unterschiedlicher Identitäten zusammenzubringen.
Rapper und Rollstuhlfahrer machen mit
Seit knapp fünf Jahren wirkt der 47-Jährige in dem Verein Schwule Väter Stuttgart mit. Der von ihm gegründete „(Ch)orale Gesangsverein“ trifft sich seit dem vergangenen Jahr im queeren Zentrum Weissenburg. Auf Anfrage der Organisationsteams des Christopher Street Day (CSD) hat Farago nun ein neues Projekt in Esslingen gestartet. Am Montag, 8. Juli, gibt der Chor ab 19 Uhr ein Konzert im „Komma“. Außerdem steht die Gruppe am Sonntag, 7. Juli, beim Schwörfest auf dem Rathausplatz auf der Bühne.
An der ersten Probe nehmen gut 25 Personen teil. Einige von ihnen kennen Farago bereits, sie singen auch in seinem Stuttgarter Chor. Zu ihnen gehört Markus Konzelmann, für den es in Esslingen leichter ist, bei den Proben dabei zu sein. „Im Gegensatz zum Weissenburg gibt es hier einen barrierefreien Zugang“, sagt der Rollstuhlfahrer lobend über das „Komma“. Faragos Sohn Samuel macht ebenfalls mit und hat für die Auftritte in Esslingen einen Raptext vorbereitet.
Reaktion auf die Wahlergebnisse
Die Mehrheit der Anwesenden ist jedoch über Flyer oder Anzeigen auf den Workshop gestoßen. Vorherige Chorerfahrung sei nicht notwendig, heißt es in der Ankündigung. Ulrike Heise aus Unterensingen erzählt, sie habe sich erst kurz vorher entschlossen, teilzunehmen. Den Ausschlag hätten für sie die Wahlen gegeben – den Chor sieht sie als politisches Zeichen gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck. „Nach den Ergebnissen sollten wir richtig laut sein“, sagt Heise.
Bei den Liedern, die die Gruppe singt, handelt es sich Farago zufolge zwar nicht um explizit queere Werke. Die klare Botschaft, dass aus Sicht des Chors alle Menschen willkommen sind, sollen die Texte dennoch aussenden. „Don’t be scared to make a change“, heißt es zum Beispiel in „Silver Linings (Clap Your Hands)“ von der Künstlerin Imamy – fürchte die Veränderung nicht. Farago sagt: „Zusammen zu singen, kann dabei helfen, sich zu öffnen.“
Zwischen Glaube und Ausgrenzung
Zumindest sei es in seinem eigenen Fall so gewesen. Er habe in manchen Kreisen lange damit kämpfen müssen, sich zu seiner Identität als schwuler Mann zu bekennen. Farago erzählt: „Ich singe seit 20 Jahren in einem katholischen Kirchenchor in Kernen im Rems-Murr-Kreis – die meiste Zeit davon ungeoutet.“ Es sei für ihn ein schwieriger Zwiespalt gewesen: einerseits sein ungebrochener Glaube an Gott, andererseits die katholische Lehre, in der Menschen wie er ausgegrenzt werden.
Tibor Farago singt seit 20 Jahren in einem katholischen Kirchenchor. Foto: Ines Rudel /Ines Rudel
Irgendwann habe der zweifache Vater dann mit seinem Priester gesprochen und ihm von seiner sexuellen Orientierung erzählt. „Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht fair finde, dass ich beim Gottesdienst meinen Beitrag leiste, aber im Segen nicht eingeschlossen bin“, berichtet Farago. „Danach hat mich der Priester dann gleich fünfmal gesegnet und zu mir gemeint, dass für ihn alle seine Schäfchen gleich sind.“ Inzwischen werde er als Schwuler in seinem Kirchenchor von allen akzeptiert. In Faragos eigener Gruppe soll es solche Hürden, sich auszuleben, aber gar nicht erst geben.
Wer Interesse hat, mitzusingen, kann sich unter der E-Mail-Adresse anmeldung@queeres.eu anmelden. Die Proben finden immer montags ab 19.30 Uhr im „Komma“ in der Maille statt.