Musiker zum Urheberrecht Im Ton vergriffen, in der Sache zum Teil nachvollziehbar

Wer darf Musikstücke in welchem Umfang online verbreiten? Der Gesetzentwurf versucht, darauf eine Antwort zu geben (Symbolbild). Foto: Imago/Westend61

Der Konfrontationskurs der Musikbranche in dem offenen Brief zum Urheberrecht ist nicht zielführend auf dem Weg zu einem Interessenausgleich – und der Gesetzentwurf nicht so schlecht, wie er dargestellt wird.

Stuttgart - Mehr als tausend deutsche Musikerinnen und Musiker gehen beim Thema Urheberrecht auf Konfrontation mit der deutschen Politik. Sie verunglimpfen deren Versuch, bei einer hochkomplexen Thematik mit vielen verschiedenen Beteiligten einen Interessenausgleich zu schaffen, als„Entmündigung“ und „Enteignung“. Sie unterstellen der Bundesregierung sogar, urheberrechtliche Ansprüche und „echte Lizenzverträge auf Augenhöhe“ absichtlich zu vereiteln. Mitinitiatorin Julia Neigel spricht gegenüber unserer Zeitung von einer „Plünderung von Kulturgut“ und davon, die Gesetzentwürfe stünden im Konflikt mit der europäischen Charta für Menschenrechte. Was in der Sache zum Teil gerechtfertigt sein mag, schießt im Ton weit über das Ziel hinaus.

 

Doch auch inhaltlich verbreiten die Musiker – allen voran Neigel und ihr Mitstreiter Peter Maffay – falsche Eindrücke. So schrieb Maffay in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung Anfang April: „15 Sekunden eines Songs sollen von jedem Nutzer, der Clips produziert, für jeden Zweck und in jedem Kontext kostenfrei verwendet und sogar bearbeitet, also verändert werden dürfen.“ Das ist nicht richtig, denn der Grundsatz bleibt laut Entwurf: Bevor ein Nutzer einen Ausschnitt eines Werkes auf Social Media posten darf, muss er den Rechteinhaber um Erlaubnis bitten und Lizenzgebühren bezahlen. Tut er dies nicht, ist die Plattform verpflichtet, den Upload zu verhindern oder zumindest den Post nachträglich zu blockieren. Im zweiten Fall gilt die angesprochene „Bagatellgrenze“ von 15 Sekunden: nämlich nicht für erlaubte, sondern nur für mutmaßlich erlaubte Nutzungen. Bei diesen darf eine Plattform annehmen, sie seien erlaubt, bis der Rechteinhaber Widerspruch einlegt – dann muss sie den entsprechenden Beitrag aber blockieren.

Wie viel sollen Upload-Filter blockieren?

Die Musiker stellen zurecht die Frage, wie das in der Praxis funktionieren soll. Ihre Forderung nach der Abschaffung dieser Grenze würde aber bedeuten, dass jede Plattform erst einmal jeden verdächtigen Post blockieren muss, bis der Nutzer beweist, dass er eine Lizenz hat. Dann käme es womöglich zu genau dem Overblocking, dass diejenigen befürchteten, die 2019 vor der EU-Reform gegen Upload-Filter auf die Straße gegangen sind. Ob man dabei schon von Zensur oder von Einschränkung der Meinungsfreiheit sprechen muss, sei dahingestellt – mit hoher Wahrscheinlichkeit würden solche hart eingestellten Filter den Diskurs in sozialen Medien aber stark beeinträchtigen.

Der Vorschlag der Bundesregierung mit der mutmaßlich erlaubten Nutzung ist insofern vielleicht nicht perfekt, aber durchaus ein eleganter Ausgleich von diametral gegenläufigen Interessen. Für die Urheberinnen und Urheber bedeutet er in jedem Fall eine Verbesserung der aktuellen Situation, in der täglich unzählige Urheberrechtsverstöße geschehen und die Plattformen dafür nicht haften. Den Nutzerinnen und Nutzern gibt er eine gewisse Freiheit beim Posten und Re-Posten von Inhalten und den Plattformen die Sicherheit, ihrer neuen Verantwortung auch ohne präventives Overblocking gerecht werden zu können.

Sicherlich täte die Regierung gut daran, sich mit den konstruktiven Kritikpunkten der Urheber auseinanderzusetzen und gegebenenfalls nachzubessern, was zum Beispiel die Höhe der „Bagatellgrenzen“ betrifft. Der Ton und das Gebaren der Musikbranche ist in Hinblick auf einen solchen Dialog aber nicht zielführend.

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