Das Berner Alte-Musik-Ensemble Les passions de l’Ame hat im Club Wizemann Werke gespielt, die rund um die Türkenschlacht bei Wien 1683 entstanden.

Stuttgart - Manchmal ist unser Hirn alleine stark: Dann filtert es aus unserem Gedächtnis das Negative eines Ereignisses heraus, sodass wir uns nurmehr an dessen positive Aspekte erinnern (ginge uns diese Fähigkeit ab, so würde womöglich keine Frau ein zweites Kind zur Welt bringen). Manchmal müssen Psychologen helfen, das Negative aufzulösen. Und manchmal ist schlichtweg die zeitliche Entfernung dabei behilflich, Negatives durch Positives zu ersetzen. So gesehen, bot das Ensemble Les passions de l’Ame (übersetzt: Die Leidenschaften der Seele) am Mittwochabend im Wizemann klingende Beispiele einer gelungenen Traumabewältigung. Und einer Auflösung von Gegensätzen durch künstlerische Integration. Oder, böser formuliert, durch Vereinnahmung und Überwältigung.

 

War da was? O ja, da war jene Belagerung der Stadt Wien 1683. Da war ein schreckliches Gemetzel, eine Völkerschlacht mit Tausenden von Opfern, von denen kaum Spuren geblieben sind. Dann aber begann eine rasante Anverwandlung – am aberwitzigsten in der Musik, die nach langem anfänglichem Schweigen etliche Eigenheiten der feindlichen Klangkultur als eigene Mode eifrig kultivierte.

Prominentestes Beispiel dafür ist Mozarts „Türkischer Marsch“, aber schon vorher wurden so genannte „Janitscharenzüge“ in Hammerklaviere eingebaut, und Komponisten integrierten Perkussionseffekte und harmonische Eigenheiten türkischer Musik in ihre Werke. So wurde das einst bedrohliche Fremde zum bestaunten Exotikum. Mit gutem Grund ergänzten deshalb die Schweizer Musiker in ihrem Konzert das Schlagwerk-Kolorit etwa von Johann Joseph Fux’ „Turcaria“ mit Heinrich Ignaz Bibers „Sonata representativa“, die mit viel Witz unterschiedlichste Tiergeräusche (bis hin zur jaulenden Katzenmusik) imitiert.

Der Klub taugt nicht als Ambiente für diese feine, zerbrechliche Musik

Dabei musste man sich erst ein wenig einhören, denn das hier solistisch aufgestellte Ensemble hat einen sehr eigenen, intimen, pastellfarben-bedeckten Klang. Besetzt mit einer starken Bassgruppe, über der sich, ergänzt und hell-silbrig verziert von einem Psalterion (Hackbrett), eine oder zwei Violinen auf virtuose Weise entfalten, verlor sich Johann Heinrich Schmelzers „Fechtschule“ fast im Raum. Der anrührend intimen, zerbrechlichen Atmosphäre der abschließenden „Bader Aria“ hätte man sich akustisch und atmosphärisch unbedingt mehr Nähe zwischen Bühne und Publikum, Musikern und Zuhörern gewünscht.

Dennoch waren zumal die beiden gebotenen Suiten aus Bibers „Harmonia Arteficiosa-Ariosa“ hier Delikatessen aus der Feinkostabteilung der historisch informierten Aufführungspraxis: mit einer brillanten, ungemein klangsensibel und dazu eminent flinkfingrig spielenden Konzertmeisterin Meret Lüthi (im roten Kleid vor sehr viel Schwarz der Kollegen und des Raumes), mit einer sehr ausdifferenziert agierenden Continuogruppe (mit Cello, Violone, Cembalo, Orgel und Laute), deren souveräne Mitglieder sich als wahre Götter des Gemetzels entpuppten, und mit einer glänzenden Solistin am Psalterion.

Die Freiheit, mit der die Musiker die Werke auszierten, sorgte zu Beginn noch für ein paar Koordinationsprobleme, doch dann spielte man sich ein, dann entspann sich ein filigranes Netzwerk der Aktionen und Reaktionen – und integriert wurde am Ende schließlich sogar das begeisterte Publikum, dessen Sangeskraft man den Ostinato-Bass anvertraute.

So mündete die Verarbeitung der schrecklichen Türkenschlacht in eine wundervolle Utopie von der Auflösung aller Konflikte in Harmonie und Schönheit, und das mit „Krieg und Frieden“ betitelte Musikfest neigt sich einem milden Ende zu.