Der Bachakademie- Intendant Gernot Rehrl möchte beim Musikfest Stuttgart die Vermittlungsarbeit intensivieren. Das Festival startet diesen Freitag.

Stuttgart - Vom 4. bis 13. September findet das Musikfest Stuttgart statt. Es ist das dritte des künstlerischen Leiters der Bachakademie, Hans-Christoph Rademann, und des Intendanten Gernot Rehrl.
Herr Rehrl, rund vierhundert Musikfestivals buhlen in Deutschland um Zuschauer. In der Region gibt es in unmittelbarer Nähe die Ludwigsburger Schlossfestspiele. Warum braucht Stuttgart ein Musikfest?
Für mich stellt sich die Frage überhaupt nicht, ob eine Landeshauptstadt ein Musikfest braucht. Die Bachakademie kann mit dem Musikfest ein ganz anderes Publikum erreichen als während der Saison. Beim Musikfest gehen wir in die Stadt, an für uns ungewöhnliche Orte, mit besonderen Programmen. Außerdem, wenn man etwas so gut Eingeführtes wie das Musikfest hat, dann lässt man das doch nicht verkommen. Im Gegenteil, man baut es aus. Ein Profil unterliegt ständigen Veränderungen, das gilt sowohl für das Musikfest wie für die Region Stuttgart: eine Region mit boomender Wirtschaft, vielen Unternehmen aus dem Dax-Bereich, zum Teil Weltmarktführern. Wir streben eine Symbiose zwischen dieser besonderen Region und unserem Musikfest an, besonders augenfällig in unserer neuen Reihe „Unternehmen Musik“. Doch allgemein soll das Musikfest ein Festival für die ganze Stadtgesellschaft sein. Ich sehe mich ungern in der elitären Ecke.
Wie sieht Ihr Ideal von Musikfestspielen aus, von der Stimmung, dem Publikum, dem Programmangebot? Und gibt es eines, egal, ob klein oder groß, das dem nahekommt?
Das Wichtigste ist, Atmosphäre und Programm in einen Zusammenhang zu stellen. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass wir Festivals auch deshalb brauchen, weil viele Teile des Publikums sich Konzerte plus einen weiteren Faktor wünschen. Das können eine Landschaft, besondere Spielstätten, ungewöhnliche Formate sein. Musikfestspiele bieten die Chance für besondere Erlebnisse neben dem regulären Konzertbetrieb.
Birgt das nicht die Gefahr, dass Veranstalter alles süffig machen? Der Musikpublizist Holger Noltze hat vor einigen Jahren in seinem Buch „Die Leichtigkeitslüge“ angemahnt, dass es eine „Tendenz gibt, Musik, Kunst und Kultur als etwas Leichtes und Schönes anzupreisen und dabei das Schwere und Anstrengende auszuklammern. „Dabei verpassen wir etwas Wesentliches.“
Bei uns gibt es beides. Wir haben im Musikfest zum Beispiel die anspruchsvolle Reihe „Sichten auf Bach“ und abends das „Bach.Lab“, in dem mit Jazz und Lounge-Musik eine bewusste Brechung klassischer Konzertformate stattfindet.
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Vermittler?
Zunächst ganz grundsätzlich gesagt: ich möchte die Politik nicht aus ihrer Verpflichtung entlassen, in Schulen Musik- und Kunstunterricht anzubieten. Unsere Musiker sind nicht dafür ausgebildet, da in die Bresche zu springen. Aber natürlich versuchen wir, neue Zielgruppen über das Thema „Vermittlung“ zu erschließen, etwa mit unserem Kinderkonzert oder den Kinderworkshops im Buchhaus Wittwer. Aber auch Gesprächsveranstaltungen gehören zu unserer Vermittlungsarbeit. Schließlich gibt es noch „Stuttgart singt!“ an verschiedenen Orten der Stadt. Da wird ein komplett anderes Publikum angesprochen. Das ist auch eine Art von Vermittlung, vielleicht die ergiebigste: indem ich Menschen zum Mitmachen aktiviere.
Für das Thema Freundschaft werben Sie mit einem etwas rätselhaften Plakatmotiv: bei einer Zapfsäule stehen zwei weiße und ein schwarzes Schaf, die einen anglotzen. Was soll das dem Uneingeweihten sagen?
Genau das wollen wir zunächst erreichen: Verwunderung. Es geht uns darum, Interesse für das Musikfest zu wecken. Der Begriff Freundschaft hat ja mehrere Aspekte, darunter auch den, wie man sich einen Feind, in diesem Fall das sprichwörtliche schwarze Schaf, zum Freund macht. Das Thema Freundschaft wollen wir auch in Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden beleuchten. Ich gebe zu, das Plakatmotiv hat zunächst nichts mit Musik tun, das ist Vermarktungsstrategie. Aber das Bild ist ein Hingucker, wir bekommen täglich mehrere Anrufe, mit der Bitte dieses Plakat zu versenden – also erreichen wir offensichtlich die Aufmerksamkeit, die wir uns wünschen.
Na, wenn die alle dann in Ihre Konzerte kommen, ist es ja gut. Ihr Eröffnungskonzert bestreiten Sie mit Mozarts „Idomeneo“. Streng genommen geht es da überhaupt nicht um Freundschaft, sondern um das missbräuchliche Verhältnis zwischen Menschen und Göttern.
Darüber können wir gern streiten, ich bin da nicht ganz Ihrer Meinung. Nein, wir wollten etwas Überraschendes an den Anfang setzen, und diese wunderbare Choroper eignet sich bestens für unsere Gächinger Kantorei.
Als zweitem Thema widmen Sie sich etwas verfrüht „25 Jahren deutscher Einheit“ .
Alles an politischen Feierlichkeiten konzentriert auf Berlin – da fand ich, dass wir kurz vor dem 3. Oktober einen eigenen Akzent setzen können. Am letzten Wochenende treffen ein ost- und ein westdeutscher Komponist zusammen, beide werden in diesem Jahr achtzig: Georg Katzer und Helmut Lachenmann. Und vor dem Schlusskonzert mit Beethovens Neunter, auch passend zum Festivalthema – „Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein“ – gibt es eine prominent besetzte Gesprächsrunde zur deutschen Einheit.
Warum führen Sie die 2014 begonnene Kooperation mit dem Freiburger Barockorchester nicht weiter, berücksichtigen mehr die historisch informierte Aufführungspraxis?
Die Zusammenarbeit war großartig, und wir reden noch über das eine oder andere Projekt. Aber mittelfristig werden wir wegen der Vielzahl unserer Konzerte in Stuttgart und im internationalen Bereich für ein bestimmtes Repertoire ein eigenes Ensemble mit historischen Instrumenten aufbauen. Das Freiburger Barockorchester ist eine starke, weltweit nachgefragte Marke, da ist es organisatorisch nicht möglich, dass es dauerhaft unser Stammorchester ist.