Abschied von einer Institution der deutschen Gegenkultur: Die Zeitschrift „Spex“, die eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Popmusik und ihrer gesellschaftlichen Relevanz etabliert hat, wird nach 38 Jahren eingestellt.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Wer zu alt für die „Bravo“ ist und sich für Popmusik interessiert, muss irgendwann einmal entscheiden: Wer sich für hippe Indiemucke gut frisierter junger Menschen interessiert, kauft von da an den „Musikexpress“. Wer sich immer schon ein bisschen älter als alle anderen fühlte und einen eher wertkonservativen Geschmack hat, liest den „Rolling Stone“. Und wem beide Blätter zu anspruchslos, zu mainstreaming, zu wenig intellektuell sind, der liest die „Spex“. Zumindest bisher. Denn Ende des Jahres wird die Zeitschrift, die immer mehr als nur ein Musikmagazin war, eingestellt.

 

Die „Spex“ war eine Zeitschrift von Schlaubergern für Schlauberger. Wer sich als „Rolling Stone“- oder „Musikexpress“-Leser versehentlich in eines der Hefte verirrte, fühlte sich leicht überfordert – von der Auswahl der Themen ebenso wie von der Komplexität der Syntax. Wer die „Spex“ las, wollte nicht Teil einer Jugendbewegung sein, sondern Teil der Subkultur. Er fürchtete sich nicht vor akademischen Diskursen – ganz gleich, ob es in den Texten um Die Nerven, Nick Cave, Blumfeld, Retromode, Netzneutralität oder Madonna ging, über die man im November 1983 einen der ersten deutschsprachigen Beiträge überhaupt lesen konnte.

Ein Stück Gegenkultur geht verloren

All das, was in anderen Musikmagazinen verboten war, war hier erlaubt: Keine Nische war zu klein, um nicht doch als Aufmachergeschichte zu taugen, kein Satz zu lang, kein Gedankensprung zu gewagt. Die „Spex“ stand für eine journalistische Gegenkultur – von der jetzt ein Stück verloren geht.

In der 383. Ausgabe, die an diesem Donnerstag erscheint, gibt der Chefredakteur Daniel Gerhardt im Editorial bekannt, das Magazin werde nach der folgenden Ausgabe eingestellt. „Wenn Sie die jüngeren – und teilweise auch gar nicht mehr so jungen – Entwicklungen im internationalen Zeitschriftenwesen verfolgt haben, kennen Sie die Gründe für die Einstellung von ‚Spex‘ bereits“, schreibt er. Der Anzeigenmarkt ist zusammengebrochen, das Medienverhalten des Publikums hat sich verändert. 2014 hatte die „Spex“ noch eine Auflage von 15 584 Exemplaren. Seither wurden keine Zahlen mehr gemeldet.

Im September 1980 erschien in Köln die erste Ausgabe der „Spex“, hinter der damals ein Herausgeberkollektiv steckte. Namensgeber war die obskure englische Punkband X-Ray Spex. Die „Spex“ wurde seither von Intellektuellen wie Dietrich Dietrichsen, Dietmar Dath oder Klaus Theweleit geprägt, aber auch Autoren wie Rainald Goetz oder Marcel Beyer fanden hier ein Zuhause.

Wo Pop und Gesellschaft aufeinanderprallen

„Statt sich in eine Empfehl-O-Mat-Funktion zu ergeben, die gar nicht mehr gefragt ist, haben wir uns als Magazin begriffen, das seine Geschichten dort sucht, wo Pop und Gesellschaft am heftigsten aufeinanderprallen“, erklärt der aktuelle Chefredakteur Daniel Gerhardt jetzt.

Und obwohl er selbstkritisch feststellt, „alles können wir nicht richtig gemacht haben, sonst gäbe es jetzt nicht dieses Editorial zu schreiben“, betont er gleichzeitig trotzig die eigene Relevanz: „Ein Heft wie ‚Spex‘ wäre heute wichtiger denn je für die deutsche Medienlandschaft, davon sind wir überzeugt. Weil jemand die Stimmen aufzeigen und stärken muss, die für übersehene und unterdrückte, versponnene, abseitige und revolutionäre Positionen im Pop stehen – oder sich, ganz aktuell, gegen einen in Deutschland aufblühenden neuen rechten Mainstream in Stellung bringen.“

Schon im Rückblick des Jahres 2015 titelte die „Spex“: „Ein Scheißjahr geht zu Ende.“ Nun stellt Gerhardt fest: „Der Slogan hätte natürlich auch 2016, 2017 und 2018 gepasst.“