Die positive Rückwirkung auf die Arbeit mit Nichtbehinderten ist auch für den Musikschulleiter Albrecht Imbescheid ein wichtiger Aspekt: Seine Lehrkräfte sollen sich mit grundsätzlichen pädagogischen Fragen auseinandersetzen. Behinderte, so betont er, könnten in Ostfildern alle Instrumente lernen, seine qualifiziertesten Lehrer seien damit betraut.

 

Die brauchen nicht nur Fantasie. Genauso wichtig ist Geduld. Denn was die Lernfortschritte anbelangt, gelten beim Unterricht mit Behinderten andere Maßstäbe. Seit zehn Jahren kommt Juliane Herget nachmittags zu Warnecke in den Gitarrenunterricht. Die 22-Jährige ist Autistin, eine dünne Frau mit großen Augen, deren Lachen sofort ansteckend wirkt. "Ich hab heut Namenstag!", ruft sie beim Eintreten - und ist darüber so aufgeregt, dass Warnecke sie erst beruhigen muss, ehe er anfangen kann.

Fast ihr halbes Leben vertont

Autisten haben Probleme mit der Konzentration, auch Lernen durch Nachahmung fällt ihnen schwer. Und wenn sie etwas nicht möchten, machen sie es auch nicht: Juliane Herget weigerte sich geschlagene drei Jahre lang, mit der linken Hand einen Ton auf der Gitarre zu greifen. Das bedeutet für den Lehrer drei Jahre Gitarrenunterricht auf imaginären Saiten - ein Niveau, das man im üblichen Musikunterricht schon nach wenigen Wochen hinter sich lässt. Was macht man also mit einer Schülerin in dieser langen Zeit? Man schaut, mit was sie sich gerne beschäftigt.

Juliane Herget zum Beispiel ist mitteilsam und liebt Reime. So komponierte Warnecke ein Lied für sie, zu dem jede Woche ein neuer Vers gedichtet wird - je nachdem, was sie in der Zwischenzeit so alles erlebt hat. Auch an diesem Tag kommen neue Zeilen dazu. Mit der auf einen Dur-Akkord gestimmten Gitarre kann Juliane Herget das Lied begleiten, und seit sie mit der linken Hand auch ein bisschen greift, kommen als Begleitakkorde schon Dominante und Tonika vor. Mittlerweile hat sie schon fast ihr halbes Leben vertont. Das Musikschullied ist ihr klingendes Tagebuch geworden.

Musikalische Einheiten erzeugen

Klassische Werke, wie sie bei Wettbewerben gefordert sind, werden Kinder wie Angelo niemals spielen können. Bei ihnen geht es um elementare Grundlagen: zusammen einen Einsatz hinbekommen, musikalische Einheiten zu erfassen. Das geht am einfachsten, wenn man sich am Rhythmus der Sprache orientiert. "Je besser die Kinder die Verse kennen, desto schneller lernen sie die gewünschte Bewegung", sagt Warnecke.

Und so werden in jeder Stunde die Lieder und Reime wiederholt. "Zottelbär macht brumm, und dreht sich einfach um", singen die Lehrer vor, und alle singen mit. Wer kann, macht dazu eine Armbewegung, wie wenn man mit dem Ellbogen etwas zur Seite schubsen möchte. Das sieht zufällig aus, ist es aber nicht. Denn bei vielen der auf Reime geübten Gesten werden instrumentaltypische Muster bereits spielerisch vorbereitet. Die Ellbogenbewegung etwa ähnelt dem Streichen eines Cellos, beim Schäferlied wird das Öffnen und Schließen von Flötenlöchern nachgeahmt.

Die Kinder lachen sich schibbelig

Trotzdem legt Nicole Sturm-Goes Wert darauf, sich im Orientierungskurs nicht zu sehr auf die Instrumente zu kaprizieren, zumal durchschnittlich nur ein Schüler hinterher in den Einzelunterricht wechselt. In erster Linie geht es um Körperwahrnehmung. Im Rhythmus gehen, tanzen, sich spüren, das ist für Behinderte wichtig. Wer im Rollstuhl sitzt, wird passend zum Takt geschoben: "Die Kinder lachen sich dann schibbelig, wenn ihre Lehrer wie die Bären rumlaufen", sagt Ulrich Warnecke. Der Stuttgarter Musiklehrer, der sich auch als Komponist und Gitarrist einen Namen gemacht hat, ist seit den Anfängen dabei. Hildegard Schwenk hatte ihn auch deshalb mit in ihr Team geholt, weil er damals seinen Zivildienst in einem Kindergarten für geistig Behinderte absolvierte.

Es sind die direkten und ganz unverstellten Reaktionen seiner Schüler, die er so schätzt. Auch sein Musikunterricht für Nichtbehinderte profitiere davon. Wer gelernt habe, für Kinder mit unterschiedlichsten Behinderungen eigene Unterrichtsstrategien zu entwickeln, der mache insgesamt einen besseren Job, sagt er.

Es können alle Instrumente erlernt werden

Die positive Rückwirkung auf die Arbeit mit Nichtbehinderten ist auch für den Musikschulleiter Albrecht Imbescheid ein wichtiger Aspekt: Seine Lehrkräfte sollen sich mit grundsätzlichen pädagogischen Fragen auseinandersetzen. Behinderte, so betont er, könnten in Ostfildern alle Instrumente lernen, seine qualifiziertesten Lehrer seien damit betraut.

Die brauchen nicht nur Fantasie. Genauso wichtig ist Geduld. Denn was die Lernfortschritte anbelangt, gelten beim Unterricht mit Behinderten andere Maßstäbe. Seit zehn Jahren kommt Juliane Herget nachmittags zu Warnecke in den Gitarrenunterricht. Die 22-Jährige ist Autistin, eine dünne Frau mit großen Augen, deren Lachen sofort ansteckend wirkt. "Ich hab heut Namenstag!", ruft sie beim Eintreten - und ist darüber so aufgeregt, dass Warnecke sie erst beruhigen muss, ehe er anfangen kann.

Fast ihr halbes Leben vertont

Autisten haben Probleme mit der Konzentration, auch Lernen durch Nachahmung fällt ihnen schwer. Und wenn sie etwas nicht möchten, machen sie es auch nicht: Juliane Herget weigerte sich geschlagene drei Jahre lang, mit der linken Hand einen Ton auf der Gitarre zu greifen. Das bedeutet für den Lehrer drei Jahre Gitarrenunterricht auf imaginären Saiten - ein Niveau, das man im üblichen Musikunterricht schon nach wenigen Wochen hinter sich lässt. Was macht man also mit einer Schülerin in dieser langen Zeit? Man schaut, mit was sie sich gerne beschäftigt.

Juliane Herget zum Beispiel ist mitteilsam und liebt Reime. So komponierte Warnecke ein Lied für sie, zu dem jede Woche ein neuer Vers gedichtet wird - je nachdem, was sie in der Zwischenzeit so alles erlebt hat. Auch an diesem Tag kommen neue Zeilen dazu. Mit der auf einen Dur-Akkord gestimmten Gitarre kann Juliane Herget das Lied begleiten, und seit sie mit der linken Hand auch ein bisschen greift, kommen als Begleitakkorde schon Dominante und Tonika vor. Mittlerweile hat sie schon fast ihr halbes Leben vertont. Das Musikschullied ist ihr klingendes Tagebuch geworden.

Texte für den Liebsten neu interpretieren

Technisch weiter ist Nina Stepanek, die bereits die wichtigsten Akkorde greifen kann. Die 28-Jährige mit Downsyndrom ist seit ihrer Kindheit an der Musikschule, neben Gitarre spielt sie auch noch Flöte und Akkordeon. Ihre große Liebe ist der deutsche Schlager. Zu Hause hortet sie eine riesige CD-Sammlung, ihre aktuellen Lieblingslieder bringt sie immer mit in den Unterricht, wo Ulrich Warnecke dann das Akkordschema heraushört und für sie aufschreibt. An diesem Tag ist es ein Titel von DJ Ötzi: "Ising a Liad für di". Nach ein paar Mal Probieren klappt das schon ganz gut. Doch bloßes Nachspielen genügt Nina Stepanek nicht. Zu der Ballade "Über sieben Brücken musst du gehn" hat sie eigene Verse geschrieben, die sie David gewidmet hat, ihrem ehemaligen Zivildienstleistenden, für den sie heute immer noch Gefühle hegt: "Über sieben Brücken muss ich gehn, sieben Wunderkerzen brennen sehn. Sie sagen, David, bleib für immer bei mir, David, I wish you were here."

Nicht nur für Nina Stepanek ist das Musizieren ein fester Bestandteil ihres Lebens. Auch der 30-jährige Manuel Schabel betreibt sein Hobby mit Leidenschaft. "Leistung ist mein Motto", sagt er, während er allerlei Effektgeräte aus seinem Koffer packt. 1991 war er Schüler im allerersten Orientierungskurs, danach lernte er erst Gitarre, dann E-Gitarre und ließ sich von seinem Nachbarn Mat Sinner, einem bekannten Hardrockbassisten, schließlich für den viersaitigen E-Bass begeistern.

Manuel Schabel spielt auch in der Ostfilderner Behindertenband Bluespolizei, die schon etliche Auftritte hinter sich hat. Wenn der junge Mann Unterricht hat, wird das Musikzimmer zum Jamkeller. Ulrich Warnecke stöpselt seine E-Gitarre in den kleinen Verstärker, ein Rhythmusgerät liefert den Schlagzeuggroove, und dann wird losgerockt: "I still got the Blues" von Gary Moore. Und dann "Blues in the Night", ein Stück, das sich Manuel Schabel zu großen Teilen selber ausgedacht hat. Es beginnt mit anschwellenden Basstönen und mündet in einen knackigen Bluesrock. Wer das hört, kommt nicht darauf, dass hier einer mit Downsyndrom spielt. So gut klingt das. Natürlich erreichen nicht alle Behinderten ein solches Niveau. Darum geht es Nicole Sturm-Goes auch nicht. Der Lehrerin ist wichtig, die Schwellenangst überwinden zu helfen. "Man muss den Eltern signalisieren: Auch ihr Kind kann in die Musikschule."