Morddrohungen, Hetze aus der Türkei und am Ende Personenschutz – wenn man wie Seyran Ates versucht, in Deutschland eine liberale Moschee zu eröffnen, kann das gefährlich werden.

Berlin - Als sich Seyran Ates zum letzten Mal alleine auf die Straße getraut hat, da kamen drei Männer auf sie zu. Ates wich zurück, bis sie auf der Fahrbahn stand und fragte: „Was wollen Sie?“ Einer sagte: „Du hast doch die Moschee für die Perversen gegründet. Du stirbst.“

 

Das war vergangene Woche, am helllichten Tag – nicht in Istanbul, nicht irgendwo in der arabischen Welt – mitten in der Hauptstadt, zwischen Menschen, die nichts ahnend vorübergingen. Da hat sie gewusst: nun wird es wirklich gefährlich. Der Druck ist seitdem nicht geringer geworden. Die Zahl der Morddrohungen liegt im dreistelligen Bereich, dazu kommt Hetze von offizieller Seite aus der Türkei. Inzwischen wird sie rund um die Uhr von drei Personenschützern des Landeskriminalamtes bewacht.

Sie stehen auch an diesem Dienstagvormittag auf dem friedlichen Kirchhof der St. Johannis-Gemeinde im Stadtteil Moabit und sondieren die Lage. „Eigentlich fürchte ich mich nicht, ich bin ja jetzt geschützt“, sagt Seyran Ates und versucht ein ziemlich überzeugendes Lächeln. „Außerdem: Wir sollten weniger über die Drohung als über das Positive sprechen.“

Nicht nur in Berlin, auch in Stuttgart gibt es liberale Muslime. Wie sie auf das Thema Kopftuch blicken, haben wir Menschen in der Stuttgarter Innenstadt gefragt:

Eine Moschee im evangelischen Gemeindehaus

Das Positive – das liegt für Ates und ihre Mitstreiter hier auf dem Kirchhof, hinter der alten Holztür mit dem Messinggriff. Drei Stockwerke geht es im Gemeindehaus hinauf, bis man zu einem hellen hohen Raum mit Bogenfenstern gelangt. Die Julisonne fällt herein, der Boden ist mit kieselgrauem Teppich ausgelegt, ein Stapel Gebetsteppiche liegt auf dem Podest für die Vorbeter.

Dies hier ist die liberalste Moschee Deutschlands, vor noch nicht einmal drei Wochen hat sie eröffnet. Der Name zeigt die Zielrichtung des Projekts: Die Namen des arabischen Islamgelehrten Ibn Rushd und Johann Wolfgang von Goethes, der sich in seinem „West-östlichen Divan“ mit dem Orient beschäftigte, verweisen auf die Absicht, einen dialogorientierten, reformierten Islam mit europäischem Gesicht zu leben.

Das Revolutionäre an der „Ibn-Rushd-Goethe-Moschee“? Sie steht allen offen: Frauen und Männern in einem Raum, Musliminnen mit und ohne Kopftuch, Homosexuellen, die sonst in keiner Moschee akzeptiert sind, auch Ungläubigen. Willkommen sind Sunniten, Aleviten, Schiiten und Sufis gleichermaßen. Gepredigt wird auf deutsch, auch Frauen dürfen vorbeten.

Frauen und Männer gemeinsam – klingt normal, ist es aber nicht

Klingt eigentlich ziemlich normal so im 21. Jahrhundert mitten in einer weltoffenen Stadt wie Berlin – bei unvoreingenommener Betrachtung. Ist es aber nicht. In Deutschlands muslimischen Verbänden dominiert ein konservatives Islamverständnis, liberale Muslime sind gerade erst dabei sich zu formieren. Keine der rund 80 Moscheen der Hauptstadt schlägt einen ansatzweise ähnlichen Weg ein.

Seyran Ates ist die Initiatorin des Projekts. Was sie und ihre Freunde tun, ist eigentlich eine kleine Berliner Initiative. Aber die hat inzwischen international politisch weitreichende Folgen: Vergangene Woche schaltete sich die türkische Religionsbehörde Diyanet in die Debatte ein und äußerte einen in der Türkei weit reichenden Verdacht: sie bringt die deutsche Moschee mit der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen in Verbindung. Diese wird von der Erdogan-Regierung für den Putschversuch vor einem Jahr verantwortlich gemacht und seitdem als Terrororganisation eingestuft – Kritiker und Oppositionelle sind seitdem unter dem Vorwand eingesperrt worden, Gülen- Anhänger zu sein.

„Es ist offensichtlich, dass das ein Projekt des Religionsumbaus ist, das seit Jahren unter der Federführung von Fetö und ähnlichen unheilvollen Organisationen durchgeführt wird“, teilte Diyanet mit. Fetö ist die Regierungsbezeichnung für Gülen. Die Berliner Moschee, so heißt es da, missachte „die Grundsätze unserer erhabenen Religion“. Es handele sich um Bemühungen, die Religion „zu untergraben und zu zerstören“. Die Behörde rief „gläubige Brüder“ auf, sich nicht provozieren zu lassen.

Hetze aus der Türkei, Fatwa aus Ägypten

Auch regierungsnahe türkische Medien hatten ähnliches über die Moschee berichtet. Besonders aufgeregt hat sich Seyran Ates über ein Foto, das in den sozialen Netzwerken im Internet kursierte. „Ein bestrumpfter Männerfuß trat gegen Korane, es wurde behauptet, wir träten die Religion mit Füßen.“

Heftige Kritik kam auch von der so genannten obersten Fatwa-Behörde in Ägypten, Dar al-Iftaa: „Frauen können nicht in einer Reihe neben Männern beten. Frauen ist es nicht erlaubt, ohne Schleier zu beten. Frauen ist es nicht gestattet, Imam zu sein, wenn dort Männer beten“, meinen die Herrschaften erklären zu müssen.

Inzwischen hat die Kontroverse auch die Bundesregierung auf den Plan gerufen. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes wies Kritik an der Moschee scharf zurück: „Wie, wo, wann und in welcher Weise“ Menschen in Deutschland ihre Religion ausübten, sei ihnen ganz alleine überlassen, sagte Martin Schäfer. Angriffe auf die Religionsfreiheit in Deutschland werde man nicht dulden.

Die Bundesregierung schaltet sich ein

Das klingt wehrhaft. Und wie sieht das in der Praxis aus? „Die Menschen haben inzwischen Angst zu uns zu kommen“, sagt Ates. „Es entsteht die Gedankenkette: Gülenisten, Terroristen, vogelfrei.“ Beim letzten Freitagsgebet waren die Reihen der Gläubigen sehr licht. Wer kommt, so die Sorge, könnte fotografiert werden. Würde das Foto in der Türkei die Runde machen, wäre man potenzieller Terrorverdächtiger. „Menschen rufen mich an und sagen: ich würde gerne kommen, aber ich traue mich nicht. Sie berichten von Anrufen von Verwandten aus der Türkei. Sie sagen, ich komme vielleicht, wenn der Sturm sich gelegt hat.“

Am Dienstagvormittag besucht Grünen-Chef Cem Özdemir die Initiative – ein Zeichen der Solidarität. „Es kann nicht sein, das Menschen in Deutschland Angst haben, in eine Moschee zu gehen, weil der Lange Arm von Erdogan bis hierher reicht“, sagt Özdemir in die Kameras. Der türkische Präsident schüre ein Klima der Angst unter Türken in Deutschland. „Bei uns gilt aber Religionsfreiheit. Wir haben keine Zensur- und auch keine Zulassungsbehörde. Das müsse die Bundesregierung dem «Operettensultan am Bosporus» auch deutlich machen.

Einen Anschlag hat Ates schon überlebt

Natürlich war Seyran Ates klar, dass sie sich mit ihrer Initiative unter konservativen Muslimen keine Freunde und unter Fundamentalisten erbitterte Feinde machen würde. Aber sie hat die Nase voll davon, dass liberale Muslime völlig zurückgezogen ihren Glauben leben. „Wir müssen sichtbarer werden“, sagt sie – auch mit Blick auf die fast ausschließlich konservativen muslimischen Verbände in Deutschland. Von dort hört die unter Druck stehende Initiative übrigens seit den Drohungen wenig. „Er hat sich nicht bei uns gemeldet“, sagt Ates auf die Frage nach einer Reaktion beispielsweise vom sonst so lauten Zentralrat der Muslime.

Aber Seyran Ates wird nicht schweigen. Mit dem Druck, den Drohungen und Angriffe erzeugen, kennt sie sich sehr gut aus – leider. Seit vielen Jahren arbeitet die türkischstämmige Juristin als Anwältin und Menschenrechtsaktivistin. Sie war eine der ersten, die das Problem der häuslichen Gewalt, der so genannten Ehrenmorde mitten in Deutschland öffentlich gemacht hat und für die Frauen kämpft.1984 wurde sie von einem Attentäter in der Beratungsstelle, in der sie damals arbeitete, niedergeschossen und sehr schwer verletzt.

Natürlich kommen in diesen Tagen die Erinnerungen an damals wieder hoch. „Aber ich habe Freunde, die mich auffangen und ein wichtiges Ziel. Das hilft.“ Seyran Ates wird die Angst nicht gewinnen lassen.