Sexualdelikte machen nur einen Bruchteil aller Straftaten im Land aus. Der Anteil von Asylbewerbern unter den Tatverdächtigen ist dabei überproportional hoch. Das hat Gründe. In Freiburg debattiert man indessen Fragen der inneren Sicherheit.

Stuttgart/Freiburg - Thomas Strobl will sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. „Dieser freiheitliche Staat ist auch ein wehrhafter Staat“, sagte der baden-württembergische Innenminister (CDU) unserer Zeitung. Wie man dieses Signal auch in Freiburg transportieren und das Sicherheitsempfinden in dieser erneut von einer schweren Straftat erschütterten Stadt verstärken kann, darüber wird am Mittwoch im dortigen Rathaus gesprochen. Der Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) und Vertreter der Polizei sowie des Innenministeriums wollen zweieinhalb Wochen nach der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung einer 18-jährigen Frau durch acht Tatverdächtige – sieben Syrer und ein Deutscher – zusammensitzen und entsprechende Maßnahmen überlegen.

 

Das Innenministerium hat im Januar einen Sonderstab „Gefährliche Ausländer“ eingerichtet. Spielten sich die von Flüchtlingen begangenen Straftaten 2015 und 2016 in erster Linie in den Unterkünften ab, verlagerten sich die Delikte im vorigen Jahr vermehrt in den öffentlichen Raum. Der Stab soll straffällige, gewaltbereite und extremistische Flüchtlinge identifizieren und für ihre beschleunigte Abschiebung sorgen. Seit Januar habe man 38 Fälle abgeschlossen, 28 davon mündeten in einer Abschiebung, so ein Sprecher des Innenministeriums. „Das ist kein Massengeschäft“, sagte Strobl. „Aber das Signal ist klar: Wer Probleme macht, dem stehen wir auf die Füße.“

Bei der Freiburger Polizei haben sich 100 000 Überstunden angesammelt

Der Freiburger Oberbürgermeister wünscht sich in erster Linie jemanden, der potenziellen Straftätern auf die Füße stehen kann. Horn, erst seit Juli im Amt, fordert eine stärkere Polizeipräsenz für seine 230 000 Einwohner zählende Stadt. Den Vorschlag seines Tübinger Amtskollegen Boris Palmer (Grüne), gewalttätige Flüchtlinge in staatlichen Einrichtungen auf dem Land zu versammeln und zu bewachen, hat Horn in einem Interview mit der „Badischen Zeitung“ als indiskutabel zurückgewiesen. „Aber wir müssen überlegen, wie wir Menschen, die zu uns fliehen und sich nicht ans Gesetz halten, schneller mit rechtsstaatlichen Mitteln bestrafen können“, so Horn. Zudem dürfe man das eigentliche Vergehen, diese „widerliche Straftat“, nicht aus den Augen verlieren: „Wir müssen uns selbstkritisch prüfen, wo wir noch mutiger, noch rigider gegen sexuelle Gewalt vorgehen“, unabhängig von der Herkunft der Täter.

Wegen Gesetzesänderung mehr Straftaten

Die Zahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hatte 2017 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Das Landeskriminalamt (LKA) verzeichnete insgesamt 6110 solcher Fälle. Das waren 704 mehr als noch 2016 (plus 13 Prozent ). Allerding sind die beiden Jahre statistisch nur schwer vergleichbar. Am 10. November 2016 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die zusätzliche Straftatbestände in den Bereich der Sexualtaten zuordnet. Sexuelle Belästigung – anzügliche Anspielungen, sexistische Bemerkungen, kurze Berührungen – waren bis dahin nicht ohne weiteres oder allenfalls als Beleidigung strafbar. Damit fließt ein neues Anzeigenfeld in die Statistik ein, so auch der Fall eines in Freiburg festgenommenen weiteren mutmaßlichen Sexualstraftäters. Der 28 Jahre alte Mann werde verdächtigt, zwischen Mai und August drei Frauen „in sexueller Absicht angegangen zu haben“, wie die Polizei am Dienstag mitteilte.

Insgesamt haben Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 2017 lediglich 1,1 Prozent aller Kriminalitätsdelikte im Land ausgemacht. Die Zahl der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen ist im gleichen Zeitraum aber sogar um 36 Prozent von 803 auf 1092 gestiegen. Auch hier schlägt laut LKA die Gesetzesänderung zu Buche. Seitdem sind nämlich sexuelle Nötigung oder sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen keine eigenen Straftatbestände mehr, sondern werden ebenfalls als Vergewaltigung gewertet.

Rechne man die von der Gesetzesnovelle betroffenen Straftaten aus der Statistik 2017 heraus, so das Landeskriminalamt, sei die Zahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gegenüber 2016 derweil um 429 Fälle (minus 7,9 Prozent) zurück gegangen. In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Vergewaltigungen relativ konstant zwischen 800 und 850 Fällen pro Jahr gewesen. Zwischen 2003 und 2006 wurden noch mehr als 1000 Vergewaltigungen pro Jahr registriert.

Allerdings ist der Anteil der Flüchtlinge unter den Tatverdächtigen bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung überproportional hoch. Ein Drittel dieser Straftaten wird von nichtdeutschen Staatsbürgern begangen. 13,8 Prozent der Tatverdächtigen sind laut LKA Flüchtlinge. 2017 wurden laut der Statistik 14 Frauen im Land von mehreren Tätern missbraucht. Bei diesen Gruppenvergewaltigungen haben sogar 41,9 Prozent der Täter keinen deutschen Pass.

2017 gab es 14 Gruppenvergewaltigungen im Land

Eine wesentliche Ursache dafür ist, dass diese Straftaten in erster Linie von jungen Männern begangen werden – und der Anteil von jungen Männern unter den Geflüchteten ist immer noch vergleichsweise hoch. Fast ein Drittel der Flüchtlinge, die in diesem Jahr nach Deutschland kamen, sind nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zwischen 16 und 30 Jahren alt. In der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil dieser Gruppe allerdings nur bei zehn Prozent.

Eine Rolle spielen könnte indes auch, dass Vergewaltigung in manchen Herkunftsländern zwar ein Straftatbestand ist, er aber nicht verfolgt wird. Denn die Opfer schweigen aus Scham und vor Angst, von der Familie verstoßen zu werden – so wie es im Übrigen hier zu Lande vor 60 Jahren ebenfalls gewesen sei, sagt Liane Wörner, die an der Universität Konstanz Strafrecht lehrt. „Mit reiner Strafverfolgung schaffen wir es nicht, die Probleme zu lösen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir brauchen mehr Lehrer, die den Flüchtlingen beibringen, dass hier die Ehre der Person an sich gilt“ – und nicht nur die der Familie.

Polizei: Es ist eine Puzzlearbeit

Die 13 Mitarbeiter der Ermittlungsgruppe „Club“ puzzeln noch. „Wir haben viele Puzzleteile“, sagt eine Sprecherin der Freiburger Polizei. Aber noch immer sei der genaue Ablauf jener Nacht vom 13. Oktober auf den 14. Oktober unklar. Die Polizei hatte am Wochenende einen Zeugenaufruf gestartet. All jene, die vor zweieinhalb Wochen in der Discothek in der Freiburger Hans-Bunte-Straße etwas Auffälliges bemerkt haben, sollten sich melden. Die Ermittler erhofften sich Aufschluss davon über den genauen Hergang der Tatnacht. Doch das Telefon klingelte bisher nicht.

Sieben Syrer und ein Deutscher (25) sollen eine 18-Jährige nacheinander vergewaltigt haben. Die junge Frau soll von einem der Männer einen – vermutlich mit K.o.-Tropfen versetzten – Drink bekommen und mit ihm kurz darauf den Club verlassen. In einem Gebüsch habe erst er, dann die anderen die Frau vergewaltigt. Alle Männer sind 19 bis 29 Jahren alt und alle polizeibekannt. Gegen einen von ihnen hat sogar schon vor der Tat ein Haftbefehl vorgelegen – was das Innenministerium in Erklärungsnöte gebracht hat. Alle sind in Untersuchungshaft.

Über das Verhältnis der Männer untereinander schweigt die Polizei ebenfalls. „Man kannte sich sicherlich“, sagt die Sprecherin. Aber wie gut bekannt die Gruppe miteinander gewesen sei, das sei ebenso Bestandteil der weiteren Puzzlearbeit wie die Rekonstruktion des Tatabends.