Dem Anschein nach hat in Haslach ein Wolf ein Reh gerissen. Damit scheinen die Räuber auch im Kreis Böblingen zurück zu sein. Tierhalter verfluchen die Wölfe, Tierschützer feiern sie. Es bahnt sich ein Streit an, der andernorts längst entbrannt ist.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Die Schafe von Sabine und Karlheinz Krüger blöken beunruhigt, wenn Fremde den Hof betreten, der sich zwischen Magstadt und Weil der Stadt an einen Hügel schmiegt. Ihre Hunde, kniehohe Border Collies, stupsen Besucher. Sie wollen nicht einmal spielen, sie wollen nur gestreichelt werden. Einen Wolf haben sie nie gewittert. Sollte es dazu kommen, „dann geben wir auf, das ist gewiss“, sagt Karlheinz Krüger.

 

Er wird nicht der Einzige sein: 1300 Schäfer zählt der Zuchtverband Baden-Württemberg. Vor zehn Jahren waren es noch ein Drittel mehr. Entscheidend für die Zukunft des Berufs dürfte eine andere Zahl sein: Nur acht Prozent der Herdenhalter arbeiten hauptberuflich. Die übergroße Mehrzahl hütet mehr aus Leidenschaft als zum Broterwerb, so wie die Krügers. Den Aufwand zur Abwehr von Wölfen könnten sie sich schlicht nicht leisten.

Einiges deutet darauf hin, dass der Wolf tatsächlich in den Kreis Böblingen zurückgekehrt ist. In der vergangenen Woche fanden Herrenberger Landwirte wenige Meter neben ihrem Hof ein gerissenes Reh. Die Bissspuren legen nah, dass ein Wolf das Tier gerissen hat. Letzte Gewissheit soll ein Gentest bringen. Wie stets in solchen Fällen, soll dies zweifelsfrei belegt werden, damit die Wölfe nicht zu Unrecht in Verdacht geraten, wenn ein Hund ein Tier gerissen hat. Selbst wenn das Reh einem Hund zum Opfer gefallen ist und der Wolf noch nicht zurück im Kreis ist, er wird zurückkehren. Im Land werden die Räuber bisher nur vereinzelt gesichtet. Finden sie sich zu Rudeln zusammen, verdoppelt sich ihre Zahl etwa alle drei Jahre.

Erzürnte Tierhalter protestieren vor allem in Ostdeutschland

Proteste erzürnter Tierhalter zeugen davon, dass in anderen Teilen der Republik längst wieder Wölfe heimisch sind. Rund 700 sollen in Deutschland leben, vor allem im Norden und Osten der Republik. Wo immer sie auftauchten, gab es wenig später die ersten gerissenen Nutztiere. Erstmals forderten Tierhalter aus Brandenburg im Jahr 2012, gegen die Raubtiere vorzugehen. 2013 sammelten sächsische Schäfer 9000 Unterschriften für die Forderung, Wölfe zu schießen. Jüngst warben die Bewohner des Fusionsdorfes Ralbitz-Rosenthal in der Lausitz 18 000 Unterstützer für dasselbe Ziel. Bundesweit 3600 tote Schafe, Ziegen, Pferde und Rinder sind ihr Hauptargument, aber auch Begegnungen mit Wölfen mitten im Ort.

So wie die Tierhalter die Raubtiere verfluchen, so feiern die Tierschützer sie als Teil einer intakten Natur und beteuern, Wölfe seien für Menschen harmlos, für Hirten beherrschbar. In Baden-Württemberg entzündete sich Anfang Juli ein erster Streit, weil ein Wolf erschossen in den Schluchsee geworfen worden war. Wenig später rissen Wölfe erst bei Heilbronn, dann bei Bad Wildbad Schafe. Naturschützer empörte, dass sich der Landes-Agrarminister Peter Hauk (CDU) daraufhin der Forderung der Schafzuchtverbände anschloss, die Wölfe zur Jagd freizugeben, um Nutztiere zu schützen.

Der Tod eines Wolfes kann bis zu 50 000 Euro kosten

In Deutschland sind die Räuber streng geschützt. Für ihren Tod drohen Geldbußen von bis zu 50 000 Euro. In Osteuropa werden hingegen nach wie vor regelmäßig Wölfe geschossen, wenn ihre Zahl zu groß wird. Vergleichbares gilt auch in einigen Ländern der EU, obwohl der Wolf in ihnen ebenfalls geschützt sein sollte. Sein Status geht zurück auf die Berner Konvention, ein umfassendes Regelwerk zum Schutz von Flora und Fauna, das der Europarat im Jahr 1979 beschlossen hat. Spanien und Griechenland, wo Wölfe damals noch heimisch waren, strichen den Passus über die Raubtiere umgehend. In Schweden wurde das Jagdverbot für Wölfe 2010 aufgehoben. In Norwegen entflammte im vergangenen Jahr ein Streit, nachdem die Regierung die Abschussquote vervielfacht hatte.

Karlheinz Krüger nennt seine Herde „ein teures Hobby“. Kommen Wölfe hinzu, bräuchte er neben seinen Border Collies sechs Schutzhunde. Einer kostet 3000 bis 4000 Euro, so viel wie die Krügers nur in guten Jahren mit ihrer Herde verdienen. Verbreiten sich die Räuber, „gibt es auf lange Sicht keine Weidetierhaltung mehr“, meint Krüger. In weitläufigen Waldgebieten seien die Raubtiere vertretbar. In stadtnahen Kulturlandschaften sei der Schaden für Weidetierhalter hingegen zu groß. Dies entspricht wortgleich der Stellungnahme der Zuchtverbände.

Naturschützer werfen Schäfern vor, ihre Arbeit nicht zu verstehen

Naturschützer werfen Männern wie Krüger vor, ihre Arbeit nicht zu verstehen. Mit Elektrozäunen und Schutzhunden sei der Wolf kein Problem. Allerdings sind auch die Zäune teuer, und die Hunde können selbst zum Problem werden. Ein stattlicher Wolf ist etwa doppelt so groß wie ein Deutscher Schäferhund. Die Schutzhunde sind größer. In der Schweiz gehören sie längst zum Standard für Schäfer. Das dortige Umweltministerium hat zu Begegnungen mit ihnen Verhaltensregeln für Touristen herausgegeben: Niemand möge sich den Hunden nähern. Radfahrer sollen absteigen, Wanderer ihre eigenen Hunde besser zuhause lassen. Im Zweifel empfiehlt das Amt die Umkehr.

In Frankreich hat das Umweltministerium die Folgen der wachsenden Wolfszahl auf die Weidetierhaltung untersuchen lassen. In den mediterranen Alpen haben Wölfe 20 000 von einst 45 000 Schafen getötet. Dies trotz Elektrozäunen, trotz Schutzhunden, obwohl viele Schäfer ihre Herden nachts in steinerne Bauten oder metallene Pferche treiben. Als belegt gilt, dass alle Schutzmaßnahmen die Wölfe anfangs abschrecken. Mit der Zeit lernen sie aber, die Barrieren zu umgehen.

In Deutschland beschränkt sich die Debatte bisher auf ländliche Gebiete, aus denen regelmäßig Wolfsrisse gemeldet werden. Des Städters Sicht auf die Raubtiere ist eine andere, wie eine Umfrage belegt. Die Mehrzahl der Deutschen hält die Rückkehr der Raubtiere für „erfreulich“.