Immer wieder rummst es nachts in der Stadt. Erstmals findet die Polizei aber Überreste von Böllern.

Leonberg - Leonberg hat einen Knall. Und zwar einen gehörigen. Fast jede Nacht sogar. Irgendwann zwischen 0.30 Uhr und 4 Uhr rummst es einmal kräftig. Der Widerhall ist in vielen Teilen des Stadtgebietes zu hören. Regelmäßig melden sich in den beiden größten Leonberg-Gruppen auf Facebook Anwohner aus dem Ramtel, aus der Stadtmitte, aus Eltingen und dem Ezach, die ein lauter Knall mitten in der Nacht geweckt hat. Sogar in Höfingen und Gebersheim wird das laute Geräusch manchmal vernommen.

 

Seit mehr als vier Wochen geht das jetzt so. Mal werden wackelnde Fenster beschrieben, ein anderes Mal hat jemand anschließend Rauch gesichtet. Immer bleibt der Ort vage. War es eine verirrte Silvesterrakete? Ein Polen- oder Chinaböller? Oder gar etwas Härteres? „Das war kein Böller, das hatte eher etwas von einer Detonation“ schreibt eine Nutzerin, die um ihre Fenster fürchtet.

Was ist es nur, was die Leonberger um ihren wohlverdienten Schlaf bringt? Die großen und kleinen Sherlocks der Stadt begeben sich auf Spurensuche. Wie sagte der große (Roman-)Detektiv: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“

Woher kommt nur der Knall?

Doch welche Anhaltspunkte gibt es? Ein Knall immer nachts und ein Widerhall, die nie vom gleichen Ort, aber aus ähnlicher Richtung zu kommen scheinen. Irgendwo in der Nähe der alten Autobahntrasse. Ob es was mit der aktuellen Baustelle im Engelbergtunnel zu tun hat? Oder ist es der Berg gar selber, der sich regt? Am Südportal des Engelbergbasistunnels wurden bis vor Kurzem neue Löschwasserleitungen verlegt. Zudem liefen bis in den Juli hinein vor allem spätabends vorbereitende Baumaßnahmen für die anstehende große Sanierung der Tunnelröhren, auf die eine quellende Gips-Schicht drückt. Doch das zuständige Regierungspräsidium winkt ab. „Die Ursache des von Ihnen genannten ‚lauten Knalls’ ist dem Regierungspräsidium Stuttgart nicht bekannt. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Fachreferat finden aktuell nachts auch keine Bauarbeiten am Engelbergtunnel statt, sodass der besagte ‚Knall’ nicht Ursprung der Baustelle ist“, heißt es auf eine Anfrage unserer Zeitung.

Sind Jäger am Werk?

Bei der Stadt Leonberg weiß man auch von nichts, hier sind keine Meldungen eingegangen. Eine erste Anfrage bei der Polizei bringt das gleiche Ergebnis.

Die Vermutungen schießen weiter ins Kraut. Sind das etwa Jäger im Wald? Wenn am Ehrenberg oder Schumisberg Schüsse fallen, weil etwa Wildschweine gejagt werden, ist das im Stadtteil Ramtel deutlich zu hören. Ein Facebook-Nutzer hat eine weitere Theorie: ein Wildschutzzaun an Feldern, der eine Art Schreckschuss abgibt, wenn etwa ein Wildschwein dagegen läuft. „Je nach Anlage hört es sich an wie Schüsse oder Polenböller.“

Oder die Wengerter?

Nachfrage bei den Jägern: „Wenn Sie eine Sau mit einem Knall vertreiben wollen, das juckt die gar nicht“, sagt der Chef der Kreisjäger-Vereinigung Leonberg, Bodo Sigloch. Schutzzäune gegen Wildschweine seien reine Elektrozäune. Zwar finde die Jagd auf Wildschweine im genannten Zeitraum statt. „Doch nur bei Vollmond, sonst sehen wir die nicht“, berichtet der Weil der Städter. Wengerter setzten vereinzelt einen sogenannten Starenschreck ein, um Vögel zu verscheuchen, die die Trauben picken wollen. „Aber das machen die nur tagsüber.“ Nachts seien die Vögel nicht aktiv. Der Vorsitzende des Obst-, Garten- und Weinbauvereins Eltingen-Leonberg, Albert Kaspari, sagt, dies sei in Leonberg aber nicht der Fall.

Ein Thema fürs Sommerloch

Die Theorien in den sozialen Netzwerken überschlagen sich allmählich. Der Sommernachtsknall und die Suche nach der Ursache sind nach Wochen täglicher Meldungen längst zum Sommerloch-Füller geworden, der jede Menge Unterhaltungswert bietet. „Da sprengt einer einen Tunnel zur Bank.“ Oder: „Ich sag’s euch, das sind die Amis, die bauen einen Bunker in den Berg!“ So manch einer bekommt auch von der Göttergattin eine geknallt und von den Facebook-Nutzern einen Lach-Smiley für diese Antwort geschenkt. Es wird abstrus. Bei der Polizei haben sich mittlerweile zu zwei Vorfällen Zeugen gemeldet, die aber nur den Knall gehört haben. Das Präsidium in Ludwigsburg fordert die Menschen am Mittwoch auf, Hinweise und Beobachtungen direkt bei der Notrufnummer zu melden.

Halb Leonberg liegt nachts auf der Lauer

Die Leonberger – Menschen, nicht Hunde – entdecken ihren Spürsinn. Mittlerweile liegt nachts gefühlt die halbe Stadt auf der Lauer. Die warmen Temperaturen machen es leicht, das Fenster nachts geöffnet zu lassen. Ein Schlauberger legt das Handy aufs Fensterbrett. Und hat tatsächlich Glück. Der nächtliche Knall ist auf Tonband gebannt. Leider sehr weit weg. Aber trotzdem deutlich zu hören. So viele Ohren können sich schließlich nicht täuschen, und jetzt gibt es den akustischen Beweis.

Vielleicht auch einen optischen? Mehrere Bilder, die eine Rauchentwicklung über der Stadt zeigen, werden gepostet. „Zwei Minuten nach dem Knall aufgenommen. Leider nicht mit Stativ sondern nur aus der Hand heraus“, schreibt der Leonberger Fotograf Stephan Breisacher (siehe Bild oben). Das Telefon bei der Polizei steht nicht mehr still, sowohl beim Notruf 110 als auch im Revier Leonberg. Bei Letzterem bricht kurz die Leitung zusammen.

Erster Ermittlungserfolg

Und tatsächlich meldet die Polizei am Donnerstagmorgen einen ersten Ermittlungserfolg: In der Breslauer Straße, auf der alten Autobahntrasse, wurde ein kleiner Krater im Erdreich von 15 Zentimetern Durchmesser gefunden, dazu Pappe- und Kunststoffrückstände. Möglicherweise Überreste eines „pyrotechnischen“ Gegenstandes, heißt es. Um was es sich genau handelt, wird noch untersucht. Kommt Sherlock Leo jetzt des Rätsels Lösung ein Stück näher? Nur ein kleines. Denn von den Übeltätern fehlt trotz umgehender Fahndung jede Spur. Auch Zeugen haben keine verdächtigen Personen beobachtet.

Eine Sommernachtsknallerei

Für die Polizei steht aber fest, dass es sich um eine Sommernachtsknallerei handelt. „Mit dem, was wir jetzt gefunden habe, kann man eigentlich alle anderen Theorien ausschließen“, sagt Polizeisprecherin Yvonne Schächtele. Die Polizei ermittelt jetzt wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Aber kann ein kleiner Böller, illegal oder nicht, so einen Rumms verursachen, der weithin übers Stadtgebiet hörbar ist? „Auch so eine kleine Sache kann an der richtigen Stelle eine extreme Wirkung entfalten“, sagt Schächtele. Und wenn das Unmögliche ausgeschlossen ist, muss das, was übrig bleibt, wohl die Wahrheit sein.