Am Montag spricht der Tübinger Professor Michael Butter in Renningen über Verschwörungstheorien. Im Interview erzählt er, welchen Einfluss Corona auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien hatte und, wer zum Opfer von diesen wird.
Ob 9/11, Corona oder der Ukraine-Krieg: Viele Menschen versuchen Ereignisse oder Entwicklungen durch Verschwörungstheorien zu erklären. Doch welche Rolle spielen Ereignisse wie die Terroranschläge des 11. September oder die Coronapandemie bei der Mythenbildung und wer ist anfällig dafür?
Darüber spricht Michael Butter, Professor für Amerikanische Studien an der Universität Tübingen, am Montag um 20 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus in Renningen. Butter forscht und veröffentlicht seit 20 Jahren zu Verschwörungstheorien, „als sich noch niemand dafür interessiert hat“, wie er sagt.
Welche Rolle spielte die Terroranschläge am elften September für die Verbreitung von Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien gibt es schon lange, aber mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 sind sie vielen Menschen erstmals bewusst geworden. An diesen 9/11-Verschwörungstheorien zeigte sich auch, welche Rolle das Internet bei der Verbreitung spielt. Tatsächlich waren Verschwörungstheorien in Europa und Deutschland stärker verbreitet als in den USA, weil viele frühen Verschwörungstheorien eher anti-amerikanistisch motiviert waren. In den USA kam das zunehmend mit dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen in den Irak.
Und welche Rolle hat die Coronapandemie gespielt?
Corona hat nicht dazu geführt, dass die Zahlen an Verschwörungsgläubigen gestiegen ist. Vielmehr wurde dabei sichtbar, wer schon vorher Verschwörungstheorien angehangen ist. Denn Anhänger von Verschwörungstheorien wissen, dass nicht alle ihre Meinungen mittragen und wollen auch nicht immer anecken, daher bleiben sie mitunter im Verborgenen. Während der Pandemie war es aber zwingend notwendig, sich zu positionieren, daher ist es gefühlt natürlich stärker geworden.
Wer fällt typischerweise Verschwörungstheorien zum Opfer?
Grundsätzlich sind alle Menschen empfänglich für Verschwörungstheorien, alt und jung, Mann und Frau, politisch links oder rechts und gebildet sowie ungebildet.
Es sind jedoch ein paar Tendenzen auszumachen: Mit dem Bildungsgrad nimmt die Neigung zu Verschwörungstheorien ab, also Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen sind weniger gefährdet. Gleichzeitig nimmt sie mit dem Alter zu. Mit dem Alter wird das Weltbild zudem immer fixer und Verschwörungstheorien haben oft einen nostalgischen Charakter, sehnen sich nach dem Alten. Männer sind außerdem etwas öfter betroffen, weil Verschwörungstheorien oft verschrobene Antworten auf gesellschaftliche Transformationsprozesse liefern, wie Feminismus und Gleichberechtigung. Dadurch wurde die Vormachtstellung von weißen Männern stark erschüttert.
Und wer besucht Ihre Vorträge in der Regel?
Inzwischen sind es seltener Betroffene, eher Angehörige von Betroffenen oder Menschen, die sich allgemein Sorgen machen um den Einfluss von Verschwörungstheorien auf die Demokratie. Früher, als ich noch nicht so bekannt war, kamen des Öfteren auch Betroffene, die mich herausfordern wollten – oder die gehofft haben, dass ich Verschwörungstheorien verteidigen würde. Heute lassen sich diese Leute eher im Vorhinein online über mich aus.
Was kann man tun, wenn Menschen zum Opfer von Verschwörungstheorien geworden sind?
Wer noch nicht tief drin ist, den kann man mit Fakten noch erreichen. Sobald Menschen tiefer drin sind, hat man mit Fakten keine Chance mehr und braucht zwingend eine emotionale Basis. Also das Gespräch suchen und Fragen stellen, wieso jemand eine Quelle für vertrauenswürdig hält oder etwas glaubt. Konfrontation bringt dann nichts, eher muss man Geduld haben. Das kann ein sehr langer Prozess sein, der nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Je nachdem, um welches Thema es dabei geht, muss man dabei allerdings auch auf sich achten.