Mythos Solitude Die Legenden der Piste und ihre heißen Öfen
Zur Autogrammstunde mit Rennfahrern vergangener Tage drängten sich Motorsportfans am Samstagmittag bei der Sonderschau Mythos Solitude.
Zur Autogrammstunde mit Rennfahrern vergangener Tage drängten sich Motorsportfans am Samstagmittag bei der Sonderschau Mythos Solitude.
Das Knattern ist ohrenbetäubend, die Erde bebt, die Menge applaudiert. Als Leopold Prinz von Bayern die Rennmaschine seines BMW – Baujahr 1971, 3,5 Liter und 360 PS – anwirft und das Gaspedal antippt, ist ihm die Aufmerksamkeit des umstehenden Publikums gewiss. Rasch kommen die Zuschauer näher und bestaunen, was sie unter der Motorhaube zu sehen bekommen. In den sechs offenen Zylindern kann beispielsweise erspäht werden, wie der Treibstoff eingespritzt wird. Und es ist kein gewöhnliches Benzin, mit welchem der Wagen läuft. Das historische Fahrzeug, das aufgrund seiner einst neuartigen aerodynamischen Bauteile den Spitznamen „Batmobil“ trug, wurde mit modernem E-Fuel betankt. Die alte Technik kommt offenbar zurecht mit dem neuen Kraftstoff.
Wenige Meter weiter haben sich mehrere Rennfahrerlegenden zur Autogrammstunde eingefunden. Hans Herrmann, Kurt Ahrens, Herbert Linge, Prinz Leopold von Bayern, Jochen Neerpasch, Kurt Brixner, Gerd Bender, Valentin Schäffer sowie die beiden Motorradweltmeister Dieter Braun und Jon Ekerold waren angekündigt. Das Interesse der Besucher ist groß. „Ich bin überwältigt“, gibt der Geschäftsführer Tobias Aichele von der Kommunikations- und Veranstaltungsagentur Solitude GmbH zu. Die Kombination aus mehr als 60 ausgestellten historischen Fahrzeugen, meist mit einem Baujahr vor 1965, sowie der Besuch der Rennfahrerlegenden schaffe eine besondere Atmosphäre, freut sich Aichele. Anlass der Ausstellung ist, dass vor 120 Jahren erstmals ein Bergrennen vom Stuttgarter Westbahnhof hinauf zum Schloss Solitude stattfand.
Einer der Gäste ist Uwe Neerpasch aus Schwieberdingen (Kreis Ludwigsburg), der sichtlich erfreut von der Autogrammstunde zurückkommt. Er hat unter anderem ein Autogramm von Hans Herrmann erhalten. Die Stuttgarter Rennfahrerlegende begann seine Karriere in den frühen 50er Jahren bei Porsche. Später startete er erfolgreich bei unvergessenen Langstreckenrennen wie der Mille Miglia, der Targa Florio und der Carrera Panamericana. Der 95-Jährige ist einer der letzten Zeitzeugen dieser Ära. Zum historischen Motorsport habe er über seinen Großcousin, die Rennfahrerlegende Jochen Neerpasch, gefunden, erzählt der Besucher. Er sei fasziniert von der alten Technik. „Da kann man noch selbst schrauben“, sagt er. Die historischen Fahrzeuge nutzten noch „pure Mechanik“. Dass darüber hinaus die Rennfahrer, die einst hinterm Steuer saßen und ansonsten nur in alten Filmaufnahmen oder als Fotos in Büchern gesehen werden, nun persönlich vor Ort sind, freute Neerpasch besonders.
Warum sich die Rennfahrer von einst heute als Legenden bezeichnen dürfen, wird beim genaueren Blick auf die ausgestellten Fahrzeuge deutlich. Besonders die älteren Modelle machen klar, dass Mut und Können gefragt waren, die Maschinen in einem Rennen zu steuern. Martin Graf sammelt historische Autos. Er hat einen Wagen des Herstellers NSU mit dem Baujahr 1921 zur Ausstellung mitgebracht. „Davon wurden nur drei Stück gebaut“, erklärt er. Einzig das Ausstellungsstück sei bis heute erhalten. Der Motor mit vier Zylindern und 1300 Kubik bringe es auf eine Spitzengeschwindigkeit von 125 Stundenkilometern, wobei dann dem Fahrer vermutlich ordentlich der Fahrtwind ins Gesicht bläst. Der Fahrer sitzt nämlich mit dem Oberkörper im Freien. Ein Dach hat das Auto nicht.
Bevor es mit dem NSU losgeht, muss der Motor aber mit einer Kurbel gestartet werden. Direkt neben dem Einstieg ist noch das Ölkännchen befestigt, das im Vergleich zu modernen Autos häufig eingesetzt wird. Die Gangschaltung wurde, ebenso wie die Handbremse, an der Außenseite der Karosserie angebracht. Wie beim Starten ist auch beim Bremsen viel Gefühl gefragt. Das Auto hat nur an den Hinterrädern eine Bremse, erklärt Graf. „Man muss sehr vorausschauend fahren“, sagt er. In Betrieb sei der Wagen aber noch regelmäßig. „Wir fahren eigentlich jede Woche mit dem Auto“, erklärt er. Das einstige Rennfahrzeug habe trotz der antiquierten Technik eine Straßenzulassung.