Beim Vortrag „Insektensterben statt Bienentanz“ geht es um Artenschutz und die Erhaltung wichtiger Grünflächen.

Renningen - Es wird immer so selbstverständlich vom Schutz der Artenvielfalt gesprochen“, erklärt Biologe Martin Klatt. „Gemeint ist damit aber meist die biologische Vielfalt, Biodiversität.“ Der Fachreferent des Arten- und Biotopschutzes des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) Baden-Württemberg hat am Freitag den zweiten Teil der dreiteiligen Vortragsreihe des Renninger Nabu über das Insektensterben gehalten und erklärt, was dagegen getan werden kann.

 

Er zeigt den gut 70 Zuhörern auch gleich ein aussagekräftiges Schema, das deutlich zeigt, warum die Vielfalt so wichtig ist: Die Honigbiene ist zwar eine der wichtigsten Bestäuberinnen, aber beileibe nicht die einzige. Wildbienen, zu denen auch die Hummeln zählen, Fliegen, Ameisen, Käfer und andere Insekten tragen ebenfalls zur guten Ernte bei. Kaffeeblüten werden teilweise zu 100 Prozent von Wildbienen bestäubt, bei der Birnenernte erbringen die vielen Wildbienenarten den deutlich größten Teil der Bestäubungsleistung. Auch Äpfel, Kirschen und Erdbeeren wären ohne die tatkräftige Mithilfe der Wildbienen seltene Früchtchen. Und während die Honigbiene bei den Imkern in guten Händen ist, fehlt es am Schutz und vor allem an Nahrung für die wilden Verwandten. Von rund 560 Wildbienenarten sind laut Roter Liste aus dem Jahr 2011 gut 63 Prozent gefährdet.

Industrie lässt Nahrung und Nistplätze verschwinden

In Baden-Württemberg machen die landwirtschaftlichen Flächen Martin Klatt zufolge rund 45 Prozent und sind die biologisch ärmsten Flächen im Ländle. Die industrielle Landwirtschaft lasse Nahrung und Nistplätze verschwinden, Herbizide merzen Ackerblumen und Wildkräuter aus, geeignete Brachflächen fehlen. Umso wichtiger sei es, auf den 14 Prozent kommunaler Flächen aus Siedlung und Verkehr, also städtischer Grünflächen, Lebensräume für Feldvögel und Insekten zu schaffen. „Und sie bieten ein unglaubliches Potenzial“, bekräftigt Experte Klatt. Zum Vergleich: die baden-württembergischen Naturschutzgebiete kommen zusammen auf 2,5 Prozent Fläche. Daher hat der Nabu mit Unterstützung des Landesministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Initiative „Natur nah dran“ ins Leben gerufen, die jährlich zehn engagierte Gemeinden mit je 15 000 Euro fördert.

Die Stadt Renningen hat sich schon 2016 um die Förderung beworben, wie Nabu-Mitstreiterin Inge Bücker auf Nachfrage erfahren hat. Stadtbaumeister Hartmut Marx, der mit Kollegin Susanne Neubauer dem Vortrag lauscht, grinst. Die Stadt sei den Naturschützern hier einen kleinen Schritt voraus. Trotz Ablehnung hat die Gemeinde begonnen, insektenfreundliche Bereiche anzulegen, so am Bahnhofsträßle, in der Malmsheimer Bachstraße, an der neuen Bahnhofsunterführung oder am Ortseingang von der Kreisstraße 1015 aus. Doch das gefällt nicht allen. „Viele Bürger ärgern sich, dass diese Flächen nicht so gepflegt aussehen wie andere“, sagt Stadtbaumeister Hartmut Marx, „da muss man einen Kompromiss finden zwischen dem, was die Bevölkerung trägt und dem, was machbar wäre. Zudem erfordern Unterhalt und Pflege deutlich mehr Aufwand, das ist auch ein Kapazitätsproblem.“ Klatt nickt, er weiß, hier ist Aufklärung gefragt.

Storchschnabel, Labkraut, Königskerze und Flockenblume neu sähen

Und viel Geduld. Denn es dauert lange, bis eine Wiese wieder natürlich satt ist und blühenden Unterschlupf für Vögel und Insekten bietet. Manchmal müssen Storchschnabel, Labkraut, Königskerze, Flockenblume, Goldhafer und Co. neu eingesät werden. Doch von den Mischungen, die in Bau- oder Gartenmärkten vertrieben werden, rät der Experte Klatt ab: Hier seien meist nur einjährige Pflanzen im Tütchen. Besser seien die vom Spezialisten angebotenen Mischungen.

Wiesen sollten nur zweimal im Jahr gemäht werden, am besten mit einem Balkenmäher, denn der mäht langsam. Idealerweise sollte nach zwei oder drei Tagen die Mahd abgetragen werden, dann haben sich die Bewohner der Wiese neue Verstecke gesucht. Ob Abweiden eine Möglichkeit sei, wird gefragt. „Wanderherde ja, Standherde nein“, lautet die klare Antwort. Leider gebe es hierzulande nicht mehr viele Schafe, die von Weide zu Weide ziehen, sagt Klatt. Also doch der Balkenmäher.

Was die Zuhörer noch umtreibt, ist die allgegenwärtige Angst vor Allergien und Insektenstichen. „In Leonberg wurde eine naturnahe Wiese aus Angst vor den ‚Monstern‘, die dort leben, niedergemäht“, berichten mehrere Besucher empört, Eltern hatten Druck ausgeübt. Martin Klatt kennt das Problem auch, hier helfen nur Geduld und Aufklärung. Und die Hoffnung, dass immer mehr Menschen aufmerksam werden. Denn die so dringend benötigte Vielfalt kann auf der kleinsten Fläche entstehen: „Jeder Quadratmeter, egal wo, zählt.“