Nach einem Brandanschlag spricht selbst Premier Netanjahu von jüdischem Terror. Tausende demonstrieren gegen sogenannte Hassverbrechen – mutmaßlich von israelischen Siedlern.

Tel Aviv - Tausende Israelis kamen Samstagabend auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv zusammen, um gegen Hassverbrechen zu demonstrieren. Vorne, auf der Bühne, packten Politiker der Opposition wie der Regierung ihre Empörung über die eskalierte rechtsextremistische Gewalt in kluge Worte. Sie traf ganz unterschiedliche Opfer: Die einen waren sechs Teilnehmer einer Schwulendemo, die von einem homophoben Messerstecher verletzt wurden. Eine 16-Jährige erlag am Sonntag ihren Verletzungen. Die anderen Opfer sind eine palästinensische Familie, deren jüngstes Mitglied, der 18-Monate alte Ali, bei einem nächtlichen Brandanschlag in den Flammen starb und dessen vierjähriger Bruder und die Eltern nun mit Brandwunden im Krankenhaus liegen.

 

Als Nasser Dawabscheh, der Onkel des kleinen Ali, auf der Kundgebung in Tel Aviv schilderte, was in der Nacht zum Freitag im Westbank-Dorf Duma geschah, standen vielen Teilnehmern Tränen in den Augen. Im rasend schnell um sich greifenden Feuer hatte die Mutter nach einer Decke gegriffen, um darin das Baby aus dem Haus zu retten. Draußen stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass das Kind nicht im Bündel war. Sie versuchte es erneut, ohne Erfolg. Nach Aussagen der Ärzte schwebt sie, deren Haut zu 90 Prozent Verbrennungen aufweist, Sonntagmittag noch zwischen Leben und Tod. Das Attentat hat Israel schockiert.

Ganz Israel? Premier Benjamin Netanjahu spricht erstmals von „jüdischem Terror“ – ein Begriff, den er bisher für die sogenannten „Preisschild“-Attacken“ fanatischer junger Siedler ablehnte. Und Staatspräsident Reuven Rivlin bekannte auf seiner Facebook-Seite „Scham und noch mehr Schmerz angesichts des Fakts, dass Mitglieder meines Volkes den Weg des Terrors eingeschlagen und ihre Menschlichkeit verloren haben“. Doch damit hat sich Rivlin neben Zuspruch Hassmails eingefangen, in denen er als „dreckiger Verräter“ und „Präsident der Araber“ verunglimpft wurde.

Vergeltung für den Abriss zweier ungenehmigter Häuser

Bei der sogenannten „Hügeljugend“ im Westjordanland, wo die Polizei nach den Brandstiftern fahndet, scheint ein beachtliches Umfeld an Sympathisanten zu leben. Es ist eine Gruppe, die eine Art Kult betreibt, nach eigenem Gesetz lebt und Palästinenser oder sonstige Andersgläubige „bezahlen“ lässt, wenn der Staat es wagt, sich mit den Siedlern anzulegen. Jetzt, so vermuten die Ermittler, war die Tat als Vergeltung für den Abriss zweier ungenehmigter Häuser in der Siedlung Beit El gemeint.

Jetzt will Verteidigungsminister Mosche Jaalon – auch dies ein Novum – Verdächtige im Zusammenhang mit dem Brandanschlag notfalls in Vorbeugehaft nehmen. Bisher beschränkte Israel diese rechtsstaatlich unhaltbare Maßnahme auf Palästinenser. Persönlich versicherte Netanjahu dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas am Telefon, es werde alles getan, um die Mörder zu schnappen. Bisher wurden „Preisschild“-Täter in den seltensten Fällen gefasst und wenn, kamen sie mit geringen Haftstrafen davon. Dabei gab es allein in den letzten zwei Jahren 15 Brandanschläge nach gleichem Muster: Parolen wie „Rache“ wurden auf Mauern von Moscheen oder Wohnhäusern gesprüht, dann flogen Brandsätze durch die Fenster. Anders als in Duma wurde das Feuer aber meist früh entdeckt. Diesmal warnen auch israelische Sicherheitsexperten: Sollte der Mordanschlag nicht bald aufgeklärt werden, könnte die ganze Westbank brennen. Das hieße dann eventuell „dritte Intifada“.