Nach Brandanschlag Wie reagiert Frankreich auf den Angriff auf eine Synagoge?

Nach der Explosion vor einer Synagoge im südfranzösischen La Grande-Motte hat die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Foto: dpa/Pascal Guyot

Bei einem Brandanschlag auf eine Synagoge in Südfrankreich gab es nur dank viel Glück keine Opfer. Der mutmaßliche Täter wurde gefasst. Der Vorfall befeuert die Debatte um vermehrte antisemitische Angriffe.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Der Rabbiner Marc Marciano befand sich am Samstagmorgen noch in seiner Wohnung direkt über der Synagoge von La Grande-Motte, als unten in der Straße zwei Fahrzeuge explodierten. Normalerweise hätte er zu dieser Zeit – 8.30 Uhr – die Pforten der Synagoge geöffnet, um die Gläubigen einzulassen. Doch jetzt, Im Sommer, beginnt das Morgengebet zum samstäglichen Schabat in dem mediterranen Retorten-Badeort aus den Siebzigerjahren etwas später.

 

Das rettete wohl Menschenleben. „Zum Glück war noch niemand eingetroffen“, erzählte Marciano später. Die Explosion, die an der Fassade der Synagoge Beth Yaacov kleinere Schäden verursachte, hätte unter den Eintreffenden ein Blutbad anrichten können. „Ich sah das Feuer, dann explodierten die Fahrzeuge und mehrere Reifen. Was mich rettete, war, dass ich etwas später als sonst hinunterstieg. Die, die uns Übles wollten, sind ein wenig zu früh gekommen. Umso besser für uns.“

Mutmaßlicher Täter war polizeibekannt, aber nicht als Extremist

Laut Polizeiangaben soll zumindest in einem Auto eine Gasflasche explodiert sein. Verletzt wurde niemand außer einem Polizisten bei Absperrungsarbeiten. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt sich um einen 33-jährigen Algerier namens El Hussein K. Er war vor rund zehn Jahren nach Frankreich gekommen und verfügte über eine Aufenthaltsbewilligung. Der Polizei war der Vater eines Kindes für kleinere Drogen- und Verkehrsdelikte bekannt, doch figurierte er in keiner Radikalen-Kartei. Bei dem Attentat trug er den Überwachungskameras nach zu schließen eine Pistole im Gurt; er war in ein Palästinensertuch und eine palästinensische Flagge gehüllt, doch sein Gesicht blieb unverhüllt.

Wohl deshalb wurde der mutmaßliche Attentäter nach einer Großfahndung am Samstag kurz vor Mitternacht in der dreißig Kilometer entfernten Stadt Nîmes entdeckt. Als die Vertreter der Einsatzpolizei Raid in dem Vorstadtviertel Pissevin anrückte, schoss der mutmaßliche Bombenleger aus seiner Wohnung auf sie. Er wurde am Arm, nach anderen Quellen am Gesicht getroffen und in ein Krankenhaus eingeliefert. Zwei, nach anderen Quellen drei Bekannte wurden festgenommen. Wie aus der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft verlautete, soll der Attentäter aber allein gehandelt haben.

Innenminister Gérald Darmanin, der wie die gesamte französische Regierung seit den letzten Wahlen an sich nur noch geschäftsführend tätig ist, ordnete auf Geheiß von Präsident Emmanuel Macron die Präfekte im Land an, die Kultusstätten stärker zu überwachen. Nach den Hamas-Attacken gegen Israel im letzten Oktober hatte Frankreich bereits die höchste Alarmstufe des Anti-Terror-Dispositivs Vigipirate umgesetzt. Wenige Tage später ermordete ein junger Kaukasier in der nordfranzösischen Stadt Arras einen Lehrer mit Messerstichen.

Kritik an Linkspopulist Mélenchon

Der Anschlag auf die Synagoge von La Grande-Motte sorgt in Frankreich für neue Bestürzung. Nicht zum ersten Mal mischt sich auch eine politische Note in die Debatte. Vertreter der Regierung und der jüdischen Verbände warfen dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon am Sonntag vor, er nenne die Dinge aus Rücksicht auf seine zahlreichen muslimischen Wähler nicht beim Namen. Der Anführer der Partei „La France insoumise“ („Das unbeugsame Frankreich“) hatte zwar den „kriminellen Brand der Synagoge von La Grande-Motte“ verurteilt. Er vermied aber wie meist die Worte „jüdisch“ oder „antisemitisch“. Das brockte ihm eine Welle der Kritik ein – zum ersten Mal auch von politischen Verbündeten: Die Chefin der französischen Grünen, Marine Tondelier, und die Sozialistin Laurence Rossignol hoben ausdrücklich und in klarer Abgrenzung zu Mélenchon den „antisemitischen“ Charakter des Anschlages hervor.

Die jüdische Gemeinschaft Frankreichs, die größte in Europa, ist in großer Sorge. Die antisemitischen Akte in Frankreich haben sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht: Vor allem ab Oktober stiegen sie von 436 auf 1676. Auch im laufenden Jahr reißen die Attacken nicht ab. Für besonders viel Entrüstung sorgte kürzlich die Beschimpfung einer jüdischen Frau in der Pariser Metro durch einen Mann mit Migrationshintergrund, der die Frau bespuckte und ausrief, Hitler hätte noch mehr Juden töten sollen. Die junge Frau filmte die Szene und zeigte den Mann an.

Weitere Themen