Die EnBW hat das Land und den Bund verklagt, weil die durchgesetzt haben, dass zwei Atomreaktoren abgeschaltet werden müssen. Dafür fordert der Stromkonzern jetzt Schadenersatz – auch vom eigenen Aktionär.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Energiekonzern EnBW und einer seiner beiden Hauptaktionäre, das Land Baden-Württemberg, treffen als Gegner vor Gericht aufeinander. An diesem Mittwoch will das Landgericht Bonn über eine Schadenersatzklage des Unternehmens verhandeln, das fast ganz im Besitz der öffentlichen Hand ist. Vom Bund und vom Land fordert die EnBW im Wege der Staatshaftung mindestens 261 Millionen Euro als Ausgleich für Einnahmeverluste, die ihr im Jahr 2011 durch die Zwangspause zweier Kernkraftwerke nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima entstanden sind. Ein Sprecher des Landgerichts bestätigte den Termin für die mündliche Verhandlung, die ursprünglich schon im Dezember stattfinden sollte. Deren Verlauf bleibe abzuwarten.

 

Bei der Ende 2014 eingereichten Klage der EnBW geht es – ebenso wie in gleich gelagerten Zivilverfahren um Eon und RWE – nicht um die Folgen des Atomausstiegs insgesamt, sondern um die Zeit zwischen Fukushima im März und dem Inkrafttreten des Ausstiegsgesetzes im August 2011. Im Wege eines Moratoriums waren damals die älteren Atommeiler abgeschaltet worden; bei der EnBW betraf dies Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1. Die Zwangspause war von den Ländern in Abstimmung mit dem Bund angeordnet und mit „Gefahrenabwehr“ begründet worden.

Seebeben nicht zu befürchten

Ebenso wie die anderen Konzerne hält die EnBW die Verfügung für rechtswidrig. An der Gefahrenlage habe sich durch Fukushima nichts geändert, argumentieren ihre Anwälte: ein Seebeben mit Tsunami wie in Japan sei in Deutschland nicht zu befürchten – schon gar nicht in Baden-Württemberg. Vielmehr habe eine aktuelle Überprüfung der beiden Altmeiler ergeben, dass „keine sicherheitstechnischen Defizite“ bestünden. Dies habe das Land damals in einem Schreiben an die Umweltorganisation Greenpeace bekräftigt. Zudem beruft sich die EnBW auf die Karlsruher Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, die das Moratorium wie zahlreiche Rechtsexperten als rechtlich fragwürdig kritisiert hatte. „Beugen Sie nicht das Atomrecht, machen Sie kein windiges Moratorium ohne rechtliche Grundlage“, wird in der Klageschrift ein Debattenbeitrag von ihr zitiert.

In Hessen hatte der Verwaltungsgerichtshof die Zwangspause für die beiden Meiler des Kernkraftwerks Biblis für rechtswidrig erklärt. Begründung unter anderem: der Betreiber RWE sei vor der Entscheidung nicht ordnungsgemäß angehört worden. RWE hat das Land Hessen und den Bund auf 235 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Bei der mündlichen Verhandlung Ende 2015 signalisierte das Landgericht Essen, dass der Konzern auf einen Ausgleich hoffen könne. Dieser werde aber deutlich niedriger ausfallen als gefordert. Als Größenordnung eines möglichen Vergleichs nannte das Gericht 50 Millionen Euro. Strittig ist zudem, ob der Bund oder die betroffenen Länder oder jeweils beide gemeinsam zahlen müssen. Der Bund verweist auf die Verantwortung der Länder, diese berufen sich auf eine Vorgabe aus Berlin.

Die EnBW hatte die Klage gegen ihren Großaktionär als „aktienrechtlich notwendig“ rechtfertigt. Dies sei „natürlich keine leichte Situation, aber es gibt keine Alternative“, hatte der Vorstandschef Frank Mastiaux gesagt. Das Vorgehen begründete er insbesondere mit dem höchstrichterlich bestätigten Urteil zu Biblis; dadurch sei eine neue Rechtslage entstanden. Anders als RWE hatte die EnBW – unter dem früheren Konzernchef Hans-Peter Villis – 2011 auf Rechtsmittel verzichtet. Sie kündigte sogar an, Neckarwestheim I „vorübergehend freiwillig“ abzufahren. In der Klageschrift wird das nicht erwähnt.

Klage „nicht zu vermitteln“

Die EnBW-Anwälte argumentieren, in der „aufgeregten Situation“ nach Fukushima wäre der Öffentlichkeit eine Klage „nicht zu vermitteln“ gewesen. Sie hätte zum Verlust von Kunden geführt und Verhandlungen über Konzessionsvergaben „erheblich beeinträchtigt“. Den Behörden sei damals bekannt gewesen, dass die Altmeiler nur auf Anordnung abgeschaltet würden. Eine Täuschung der Öffentlichkeit will die EnBW darin nicht erkennen.

Mit seiner Klage hatte das Unternehmen, in dessen Aufsichtsrat zwei Minister sitzen, die Landesregierung überrascht. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte zuvor gesagt, er gehe nicht davon aus, dass die EnBW als staatlich beherrschter Konzern „einen solchen Kurs fährt“. Der zweite Großaktionär, der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke, zeigte Verständnis für das Vorgehen.