Die ehemaligen Mitarbeiter der Bäckerei Lang wurden monatelang nicht bezahlt. Aber die Firmenpleite hat nicht nur finanziell Spuren hinterlassen. Ein Gespräch mit drei Betroffenen.

Stuttgart - Der 44. Hochzeitstag, der 18. Geburtstag des Enkels: Die vergangenen Monate hätten für Roswitha Vest eigentlich unvergesslich werden sollen. Doch daraus wurde nichts. Denn seit ihr langjähriger Arbeitgeber – die Bäckerei Lang – Ende Oktober Insolvenz angemeldet hat, herrschte bei ihr und vielen anderen Mitarbeitern lange Zeit Ebbe in der Kasse. Und auch schon vor der offiziellen Anmeldung der Insolvenz sei sie nicht mehr bezahlt worden. Seit August 2018 müssen die 62-Jährige und ihr Mann deshalb von dessen Rente leben und davon ihren Alltag meistern.

 

„Unser Hochzeitstag Ende letzten Jahres war total versaut. Wir saßen einfach daheim und mir ging es nicht gut. Und als mein Enkel, der in Flensburg wohnt, 18 wurde, konnte ich ihn nicht mal besuchen, weil dafür das Geld fehlte,“ sagt Roswitha Vest, die mehr als 17 Jahre bei der Bäckerei Lang tätig war und die eine wichtige Zahnbehandlung aus Geldnöten verschieben musste. Und ihre Kollegin Fadik Düzgören ergänzt: „Ich habe monatelang von meinen Träumen gelebt. Mit meinen Ersparnissen, die ich in der Zeit aufbrauchen musste, wollte ich mir eigentlich den Traum erfüllen, drei Kindern ein Studium an der Universität zu ermöglichen.“

Die Beschäftigten hatten schon vor der Insolvenz ein Minus in der Kasse

Dass die finanzielle Situation der ehemaligen Mitarbeiter solche Ausmaße angenommen hatte, hat laut Insolvenzverwalter Wolfgang Bilgery einen einfachen Grund: „Eines der größten Probleme in diesem Fall ist, dass viele Mitarbeiter seit August nicht mehr bezahlt wurden, die Insolvenz aber erst im Oktober angemeldet wurde. Deshalb hatten die Beschäftigten schon vor der Insolvenz ein Minus in der Kasse.“ Dazu komme, dass es in einigen Fällen schwierig sei, den Vorgang durch Vorlage von Lohnbescheinigungen zu beschleunigen, da viele Löhne oder Teile davon kurz vor der Insolvenz an die Mitarbeiter in bar ausgezahlt wurden, erklärt Antje Teufel von der Agentur für Arbeit: „Wenn Arbeitgeber Bargeld an ihre Mitarbeiter auszahlen, ist es schwierig die Ansprüche des Arbeitnehmers durch die Lohnbescheinigung festzulegen. Deshalb können wir in einem solchen Fall keinen Vorschuss zahlen, sondern müssen auf die Insolvenzgeldbescheinigung warten.“

Die Geldsorgen der vergangenen Monate sind aber nicht die einzigen Probleme, mit denen die ehemaligen Mitarbeiter zu kämpfen haben. Ihnen fehle schließlich nicht nur ihr Arbeitslohn, sondern auch der Arbeitsplatz selbst – an dem sie sich lange Zeit wohl fühlten. „Ich habe schon vor meiner Arbeit bei der Bäckerei Lang im Verkauf gearbeitet und das hat mir immer großen Spaß gemacht. Viele Kunden kannte ich sehr gut, sie kamen Jahre lang zu mir um ihr Brot zu kaufen und um zu reden. Das fehlt mir nun. Ich fühle mich einfach leer,“ sagt die ehemalige Lang-Mitarbeiterin Münevver Demirbas, die auf Grund der ausstehenden Gehaltszahlungen lange Zeit auf den Lohn ihres Mannes angewiesen war. Und auch Roswitha Vest erinnert sich gerne an die Arbeit in Backstube und Verkaufsraum: „Ich war früher in der Gründungsfiliale in Stuttgart-Ost. Dort herrschte eine sehr familiäre Atmosphäre. Ich liebte den Umgang mit den Kunden und die Qualität der Ware. Es war ein sehr schöner Arbeitsplatz.“

Ständige Filialwechsel, unzumutbare Arbeitsbedingungen und fehlende Waren

So schön die Arbeit in den Filialen des Traditionsbetriebs einst war, desto aufreibender wurde der Arbeitsalltag aber schon nach der ersten Insolvenz, die 2014/15 lief: Ständige Filialwechsel, unzumutbare Arbeitsbedingungen und fehlende Waren seien an der Tagesordnung gewesen. „Nicht ohne Grund haben wir den Inhaber Ilyas Kaya bei der Mitarbeiterversammlung Ende Oktober voriges Jahr in Freiberg am Neckar vor die Tür gesetzt,“ so Fadik Düzgören. Das ganze vergangene Jahr sei für sie und ihre Kolleginnen der blanke Horror gewesen. Deshalb sind sich die drei Frauen einig, dass sie erst mal nicht mehr im Bäckereigewerbe arbeiten möchten. „Ich bin psychisch einfach am Ende, wir wurden ständig in neue Filialen geschickt und wussten nie, woran wir waren,“ sagt Münevver Demirbas. Und auch ihre Kolleginnen bestätigen, dass viele seitdem mit körperlichen und seelischen Folgen zu kämpfen haben.

Wenigstens ihre Geldsorgen können die Frauen mit Beginn des neuen Jahres aber ad acta legen. Während viele Betroffene noch vor Weihnachten einen Vorschuss erhalten haben, musste Roswitha Vest bis zum 10. Januar warten, um schließlich auch wieder Geld auf dem Konto zu haben. „Heute ist bei mir endlich das fehlende Geld eingetroffen“, berichtete sie am Donnerstag. Nur eins fehle ihr noch: Der Betrag, der ihr von Januar bis Oktober 2018 vom Lohn für ihre Betriebsrente abgezogen wurde, dort allerdings nie eingezahlt worden sei.

Die Freude über den plötzlichen Geldeingang bleibt bei der ehemaligen Mitarbeiterin aus Stuttgart-West jedoch nicht nur deshalb verhalten: „Wir haben ja lange genug auf das Geld gewartet, deshalb hält sich die Freude in Grenzen.“ Und die Erinnerung an das vergangene Jahr sei ihr einfach noch zu präsent. „Ich gehe ja nicht mal mehr gerne in eine Bäckerei zum Einkaufen“, sagt Vest. Ein wenig Erleichterung verspürt sie aber trotzdem, schließlich könne sie nun endlich die lang verschobene und dringend notwendige Zahnbehandlung durchführen lassen. Einen Termin dafür hat sie bereits vereinbart.