Soll es Alterstests für junge Asylbewerber geben? Nach der Messerattacke in Kandel gibt es entsprechende Forderungen der Politik. Ärztevertreter weisen die zurück.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart/Berlin - Nach dem tödlichen Messerangriff auf eine 15-Jährige im rheinland-pfälzischen Kandel haben Unions-Politiker eine Altersprüfung junger Flüchtlinge gefordert. Das Alter sei etwa mit Blick auf die Strafmündigkeit ganz entscheidend, sagte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU). Er sprach sich in Zweifelsfällen für medizinische Untersuchungen junger Flüchtlinge aus. Der Grünen-Politiker Boris Palmer bringt die Umkehr der Beweispflicht ins Gespräch. „Wer Röntgen als unzumutbaren Eingriff wertet, könnte übrigens auch einen anderen Weg wählen: Wer nicht nachweisen kann oder durch eine Untersuchung nicht belegen will, dass er unter 18 Jahren alt ist, wird als Erwachsener behandelt“, schrieb der Tübinger Oberbürgermeister am Dienstag auf Facebook.

 

Auch die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), ist für eine härtere Gangart. Sie fordert ein „bundeseinheitliches Verfahren“ für die Altersfeststellung nach dem Modell einer zentralen „Vorclearingstelle“, wie sie in ihrem Bundesland seit 2016 besteht. Im Saarland werden bereits jetzt im Zweifelsfall Hände geröntgt. Am Klinikum Saarbrücken liefen nach Angaben der CDU von Februar 2016 bis November 2017 insgesamt 701 Untersuchungen. 243 unbegleitete minderjährige Ausländer wurden als volljährig erkannt. Doch die Methode ist umstritten. Wir beantworten die zentralen Fragen.

Wie viele umstrittene Fälle gibt es?

Im November 2017 lebten in Deutschland laut Bundesfamilienministerium rund 31 300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Zuständigkeit der Jugendhilfe. Es wird angenommen, dass viele über 18 sind, sich aber für jünger ausgeben. Die größte Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, kommt aus Afghanistan.

Welchen Schutz genießen minderjährige Flüchtlinge?

Flüchtlinge, die noch nicht volljährig sind, genießen einige Vorteile. Sie werden nicht nach dem Asylrecht, sondern nach dem Jugendhilfegesetz behandelt. Das heißt konkret: Minderjährigkeit schützt vor Abschiebung, garantiert eine bessere Unterbringung und verspricht strafrechtliche Milde.

Wie ist die rechtliche Lage?

Schon jetzt können die Jugendämter eine medizinische Altersfeststellung veranlassen. Das geht, wenn es nach Ausweiskontrolle und Inaugenscheinnahme des betroffenen Flüchtlings Zweifel gibt oder dieser selbst einen entsprechenden Antrag stellt. Schwierig wird es bei einem verbindlichen medizinischen Alterstest bei jungen Flüchtlingen. Das dafür nötige Röntgen sei ohne medizinische Indikation ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Zuletzt hatte die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer Ende 2016 sowohl die Zuverlässigkeit als auch die Verfassungskonformität von ärztlichen Altersfeststellungen angezweifelt.

Kann der Test verweigert werden?

Für die betroffenen Flüchtlinge ist die medizinische Untersuchung nicht verpflichtend. Sie können sich weigern. Dann allerdings kann das Jugendamt die Feststellung des Alters beenden und die Inobhutnahme verweigern. Bringt auch der Medizintest keine Klarheit, wird im Zweifel für den Jugendlichen entschieden: die Person gilt als minderjährig.

Wie genau sind Alterstests?

Das Alter eines Menschen kann auch mit neusten medizinischen Geräten nicht genau festgelegt werden, es kann also nur geschätzt werden. Rechtsmediziner gehen davon aus, mit der Kombination aus körperlicher Untersuchung und Röntgen der Hand sowie des Gebisses ein wahrscheinliches Alter und ein Mindestalter angeben zu können. Experten weisen aber darauf hin, dass das Knochenalter um bis zu drei Jahre nach unten oder oben abweichen kann. Weisheitszähne wachsen in einer Altersspanne zwischen 16 bis 25 Jahren. Die Bundesärztekammer spricht sich ob dieser Ungenauigkeit gegen das Röntgen aus.

Wie ist die Lage in anderen Staaten?

In Österreich ist der gesetzliche Alterstest schon seit acht Jahren Pflicht. Dort müssen sich junge Flüchtlinge untersuchen und auch röntgen lassen, wenn es Zweifel an ihren Altersangaben gibt. Aufsehen erregt hat zuletzt ein Befund aus Schweden. Seit Anfang 2017 werden dort alle Flüchtlinge untersucht, bei denen es Zweifel an ihrer Aussage gibt, wenn sie behaupten minderjährig zu sein. Getestet wurden bisher rund 2500 junge Menschen, mehr als 80 Prozent von ihnen wurden danach für Volljährig erklärt.