Die SPD fordert von CDU und CSU mehr Entgegenkommen. Nachverhandlungen soll es nicht nur bei befristeten Arbeitsverträgen und dem Familiennachzug für Flüchtlinge geben, sondern auch bei der Gesundheitsversorgung. Eine Übersicht.

Stuttgart - In den Sondierungen hatte die SPD sich nicht durchsetzen können mit ihrer Forderung, eine Bürgerversicherung einzuführen. CDU und CSU willigten nur ein, zur hälftigen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zurückzukehren. Derzeit tragen Arbeitnehmer 8,3 Prozent des Krankenkassenbeitrags, Arbeitgeber 7,3 Prozent. Künftig sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je 7,8 Prozent übernehmen – gemessen am GKV-Gesamtbeitrag von aktuell durchschnittlich 15,6 Prozent.

 

Der SPD indes reicht das nicht. Sie will in den Koalitionsverhandlungen nachlegen. Da es mit der Bürgerversicherung nicht geklappt hat, gibt sie als Ziel nunmehr vor, die sogenannte Zwei-Klassen-Medizin abzuschaffen. Unter diesem Kampfbegriff werden alle möglichen echten und scheinbaren Nachteile für Kassenpatienten zusammengefasst, die sich aus der Zweiteilung des Krankenversicherungsmarkts in GKV und private Krankenversicherung (PKV) ergeben.

Unstrittig ist beispielsweise, dass GKV-Versicherte länger auf einen Termin beim Facharzt warten müssen. Vor allem zum Quartalsende ist das oft der Fall – eine Folge der Budgetierung der Honorare für niedergelassene Ärzte in der GKV. Wenn es kein Geld mehr gibt für die Patienten, behandelt der Doktor eben nicht mehr.

Ärzte warnen vor Bürgerversicherung durch die Hintertür

Immer wieder ist deshalb seitens der SPD die Forderung erhoben worden, die unterschiedlichen Honorarsysteme von GKV und PKV einander anzugleichen oder gar zu vereinheitlichen. Die Genossen, allen voran ihr Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, wollen so Anreize für Ärzte, Privatpatienten zu bevorzugen, aus der Welt schaffen. Auch in den Verhandlungen mit CDU und CSU dürfte dieser Plan wieder auf den Tisch kommen. Ärzteschaft und PKV-Vertreter sind strikt dagegen. Sie warnen vor einer Bürgerversicherung durch die Hintertür. Ob eine Angleichung der Honorarsysteme überhaupt machbar ist, darüber streiten Fachleute. Während in der PKV die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gilt, die Leistungen je einzeln vergütet, werden die Honorare für Vertragsärzte in der GKV über den sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) verteilt. Das Instrument wurde 1977 im Rahmen des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes eingeführt. Der Name ist bis heute Programm: Es geht darum, die Ausgaben für die ambulante ärztliche Versorgung zu deckeln. Die wichtigsten Werkzeuge dafür sind Mengenbegrenzung und gestaffelte Vergütung. Überschreitet der Arzt ein bestimmtes Leistungsvolumen, erhält er pro Leistung am Patienten immer weniger und irgendwann gar nichts mehr. Das System soll den Verlockungen ärztlicher Gewinnmaximierung einen Riegel vorschieben. Die Kassenärzte halten das System schon immer für unzumutbar: Es könne nicht sein, dass sie für die Krankheitslast in der Bevölkerung haften müssen.

Mit Blick auf eine Angleichung der Honorarsysteme ist grundsätzlich zu fragen, in welche Richtung angeglichen werden soll. Kaum vorstellbar ist, dass die Behandlung von 72 Millionen Kassenpatienten nach den deutlich höheren GOÄ-Preisen erfolgt. Die Kosten würden explodieren. Auch der umgekehrte Weg – die Anpassung der GOÄ an den EBM – hätte seinen Preis. Das Wissenschaftliche Institut der PKV hat 2015 errechnet, dass niedergelassene Ärzte pro Jahr sechs Milliarden Euro mehr mit der Behandlung von Privatpatienten umsetzen. Ohne Kompensation würden die Mediziner viel Geld verlieren, mit Kompensation würde das EBM-Volumen entsprechend zunehmen. Dadurch würden dann auch GKV-Versicherte belastet. So weit ist es aber noch nicht. CDU und CSU müssten ja zustimmen. Positive Signale für ein einheitliches Gebührensystem sendet der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich. Dem Nürtinger Bundestagsabgeordneten ist die Benachteiligung von Kassenpatienten etwa bei der Terminvergabe ein Dorn im Auge. Ein transparentes Vergütungssystem sei dagegen das richtige Mittel. Hennrich verweist auf die Kliniken. Dort gebe es längst einheitliche Preise für die Behandlung von Kassen- und Privatpatienten, ohne dass die Dualität von GKV und PKV aufgegeben werden müsse. Mehrleistungen wie das Einzelzimmer seien weiter möglich. „So etwas könnte man im Prinzip auch im ambulanten ärztliche Bereich abbilden“, so Hennrich.

Aus der CDU gibt es positive Signale

Für eine Reform sieht er aber zwei große Hürden. Da sei zu einen die Finanzierbarkeit. Man müsse den Ärzten garantieren, dass ihr Honorarvolumen gleichbleibt. Das wären die genannten sechs Milliarden Euro. Zum anderen sei ein ganz neues Honorarsystem zu entwickeln, da EBM und GOÄ nicht kompatibel seien. „Und das dürfte mehrere Jahre beanspruchen“, so Hennrich.

Hürde zwei: Zeitverträge

Das Gesetz lässt eine Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund in drei Fällen zu: bei einer kalendarischen Befristung von bis zu zwei Jahren, im Falle einer Unternehmensgründung und für Arbeitnehmer ab 52 Jahren. Zwingende Voraussetzung bei einer kalendarische Befristung ist, dass nie vorher ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis zum jeweiligen Arbeitgeber bestanden hat. Die sachgrundlose Befristung darf zwar die Höchstdauer von zwei Jahren nicht überschreiten, innerhalb dieses Zeitraumes aber bis zu dreimal verlängert werden.

In den ersten vier Jahren nach einer Unternehmensgründung ist die sachgrundlose kalendarische Befristung bis zur Dauer von vier Jahren möglich. Sachgrundlos befristete Arbeitsverträge können mit Arbeitnehmern über 52 Jahre für eine Gesamtdauer von bis zu fünf Jahren geschlossen werden.

Nach Auskunft der Bundesregierung haben 2,8 Millionen Menschen in Deutschland nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Überdurchschnittlich betroffen sind Frauen, Ausländer und junge Menschen. Besonders verbreitet sind Befristungen in den Branchen Erziehung und Unterricht, im Gastgewerbe und im Gesundheits- und Sozialwesen. Befristete Arbeitsverträge mit oder ohne Sachgrund machen einen großen Teil der Anstellungspraxis aus.

Befristungsquote im öffentlichen Dienst höher als Privatwirtschaft

Gemäß einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gab es 2016 in Deutschland 3,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Neueinstellungen – ohne Auszubildende und Minijobber. Hiervon waren 1,6 Millionen Stellen, rund 45 Prozent, befristet. 2015 hatte der Anteil bei 41 Prozent gelegen. Bei den 25- bis 29-Jährigen lag der Anteil der befristeten Neueinstellungen 2016 sogar bei 50 Prozent. Insgesamt arbeiteten in dem Jahr 7,8 Prozent aller Beschäftigten in befristeten Jobs. Die Übernahmequote in eine unbefristete Beschäftigung lag bei 40 Prozent.

Interessant ist, dass die Befristungsquote im öffentlichen Dienst generell höher liegt als in der Privatwirtschaft – nämlich laut IAB im Jahre 2004 bei 8,7 Prozent, dann stieg sie bis 2010 auf 11 und sackte bis 2014 wieder leicht auf 10,4 Prozent. In der Privatwirtschaft (einschließlich Wissenschaft) lag die Quote 2004 nur bei 4,8 Prozent, steigt seitdem aber kontinuierlich. 2014 lag sie bei 6,7 Prozent.

Härteres Vorgehen gegen Ketten-Befristung wohl denkbar

Die SPD findet, dass Befristungen gerade jüngeren Menschen die Lebensplanung erschwert, und will die sachgrundlosen Befristungen verbieten. Ist mit der Union zu reden? Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) hätte nichts dagegen. Die Kanzlerin würde wohl auch mitziehen. Doch der Wirtschaftsflügel der Union organisiert den Widerstand. Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, nennt die Befristung „das letzte Flexibilisierungsinstrument der Industrie“. Eine Abschaffung würde bei schwächerer Konjunktur zu einem Einstellungshindernis.

Fazit: Zumindest Absprachen für den öffentlichen Sektor und härteres Vorgehen gegen Ketten-Befristungen wären durchaus vorstellbar.

Hürde drei: Familiennachzug

Beim Problem des Familiennachzugs geht es um einen begrenzten, aber größer werdenden Personenkreis. Im Jahr 2017 haben rund 223 000 Personen einen Asylantrag gestellt. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 70 Prozent. Da das Bundesamt eine große Zahl von Altfällen zu bearbeiten hatte, wurde 2017 über die Anträge von 603 000 Personen entschieden. Nur 0,7 Prozent der Antragsteller, 4300 Menschen, erhielten Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes, wurden also im klassischen Sinne als politisch Verfolgte anerkannt. Rund 124 000 Menschen – etwa 20 Prozent der Antragsteller – wurde der Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugebilligt.

Nach der Flüchtlingskonvention gilt auch nicht staatliche Verfolgung als akzeptierter Fluchtgrund. Das naheliegende Beispiel ist die Bedrohung durch die Terrormilizen des IS. Zudem erhielten 98 000 Personen (16 Prozent) subsidiären Schutz. Das sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen können, dass ihnen im Herkunftsland ernsthafter Schaden oder die Bedrohung des Lebens infolge willkürlicher Gewalt droht – vor allem also Bürgerkriegsflüchtlinge. In Deutschland leben insgesamt rund 191 000 Menschen mit subsidiärem Schutz.

Völlig unklar, mit welchem Ausmaß an Nachzug zu rechnen wäre

Zur Einordnung der Debatte über den Familiennachzug ist ein Punkt äußerst wichtig: Politischer Handlungsspielraum besteht nur bei der Gruppe der subsidiär Geschützten. Politisch Verfolgte und anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention haben auf jeden Fall das Recht, Ehepartner und Kinder nachzuholen. Bei den subsidiär Geschützten hat die Politik die Möglichkeit genutzt, den Familiennachzug auszusetzen.

Die aktuellen Diskussionen drehen sich darum, ob diese Sperre aufgehoben werden soll. Sie sind deshalb brisant, weil die Gruppe der subsidiär Geschützten unter den anerkannten Schutzberechtigten steigt. Dabei ist völlig unklar, mit welchem Ausmaß an Nachzug zu rechnen wäre. Im Bundesinnenministerium geht man derzeit von einem Faktor zwischen 0,8 und 1 aus. Die Eins hieße, dass jede subsidiär geschützte Person einen Angehörigen nachholen könnte.

Wird die SPD die CSU überzeugen können?

Von Anfang 2015 bis Mitte 2017 sind 102 000 Visa zum Familiennachzug erteilt worden. Allerdings ist diese Zahl des Auswärtigen Amtes nicht nach dem jeweiligen Schutzstatus aufgeschlüsselt. Die Union hatte sich dafür ausgesprochen, die Nachzugssperre aufrechtzuerhalten. In den Sondierungen mit der SPD wurde vereinbart, den Nachzug von 1000 Personen pro Monat zuzulassen. Dem SPD-Parteitag war das zu wenig. Nun soll nachverhandelt werden.

Bei der symbolischen Aufladung des Themas vor allem bei der CSU, die bald vor einem Landtagswahlkampf steht, sind die Chancen für die SPD hier nicht sehr groß. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster machte das im Gespräch mit unserer Zeitung klar: Er nennt die vereinbarten 12 000 Personen pro Jahr „bereits eine sehr großzügige Härtefallregelung“, schließlich würde diesen Menschen „eine voraussetzungslose Einwanderung ermöglicht“.