Der junge Gänsebauer Rolf Wais aus Stuttgart-Degerloch ist im März 2017 tödlich verunglückt. Nun stellt sich die Frage, was aus dem Areal an der Epplestraße werden soll. Die Gerüchteküche brodelt, und Stuttgarter Landwirte machen sich Sorgen

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Degerloch - Es ist das zweite Jahr, in dem die Bewohner der Filderebene keine regionalen Gänse aus Degerloch mehr kaufen können. Im März 2017 ist der damals 33-jährige Gänsebauer Rolf Wais bei einem Unfall in Rumänien tödlich verunglückt. Kurz darauf verschwanden auch die Gänse an der Epplestraße. Bis dahin waren jedes Jahr zwischen Juli und Dezember bis zu 1000 Gänse hinter dem Industriegebiet Tränke zwischen Degerloch und Möhringen herumgewatschelt. In den gänsefreien Monaten zwischen Januar und Juli hatten Rolf Wais und seine Eltern Ackerbau betrieben und die Erträge im eigenen Hofladen verkauft. Außerdem verarbeiteten sie Holz und verkauften dieses.

 

Nun wird seit Monaten gerätselt, was mit dem 80 Hektar großen Gelände an der Epplestraße passiert. Die Mutter von Rolf Wais, Gerlinde Wais, sagt: „Ich weiß das selber nicht. Und das ist für uns zurzeit auch nicht interessant.“ Der Möhringer Bauer Klaus Brodbeck weiß nicht viel mehr: „Den Betrieb gibt es nicht mehr, und alles was darüber hinausgeht, sind nur Gerüchte.“

Eine Transportfirma? Eine Landschaftsgärtnerei?

Eines dieser Gerüchte besagt, dass ein Transport- und Containerdienst aus Degerloch das Gelände kaufen wollte – oder es sogar bereits gekauft hat. Andere wollen gehört haben, dass eine Landschaftsgärtnerei den Zuschlag bekommen habe. Die ehemaligen Bauern-Kollegen von Rolf Wais wünschen sich etwas anderes: „Das Gelände sollte an einen Stuttgarter Bauern vergeben werden. Oder die Stadt kauft es“, sagt Michael Gehrung, landwirtschaftlicher Obmann aus Plieningen. Er und seine Kollegen wollen verhindern, dass ein auswärtiger Bauer den Zuschlag bekommt – schließlich kämpfen die hiesigen Landwirte um jedes Fleckchen Land.

Das Problem an der Sache ist jedoch: Die Stuttgarter Landwirte hätten zwar Interesse an den Äckern, nicht jedoch an den Hallen und dem Hof – schließlich haben sie eigene Höfe. Michael Gehrung weiß jedenfalls von keinem Kollegen, der sich um das gesamte Areal beworben hätte: „Deshalb hätten meine Kollegen und ich auch nichts dagegen, wenn die Stadt das Areal kauft und überbaut“, sagt Gehrung. Er könne sich zum Beispiel vorstellen, dass die Feuerwache 5 oder die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) auf das Areal ziehen.

Landwirte haben den Vorrang

Zum Hintergrund: Die AWS ist derzeit noch an der Liebknechtstraße in Stuttgart-Vaihingen angesiedelt. Das Gelände ist aber zum einen zu klein, zum anderen will die Allianz auf der Fläche bauen. Deshalb ist geplant, dass die AWS übergangsweise auf das Aurelis-Areal in Vaihingen zieht, langfristig dann auf das Gelände der Feuerwache 5 am Bruno-Jacoby-Weg in Degerloch. Die Feuerwehrleute wiederum sollen nach Möhringen auf das ehemalige Hansa-Areal an der Sigmaringer Straße ziehen. Es gibt massiven Widerstand gegen diese Umzugspläne: Die Degerlocher fürchten sich nämlich vor Lärm und Gestank, wenn die AWS mit 45 Müllwagen und 155 Mitarbeitern zu ihnen zieht.

Doch selbst wenn die Stuttgarter Stadtverwaltung Interesse hätte an dem ehemaligen Gänsehof-Areal – etwa für die Feuerwache 5 oder die AWS –, hat sie keine Handhabe. „Grundsätzlich gilt: Landwirtschaftliche Flächen müssen der Landwirtschaft zur Verfügung stehen“, erläutert ein Pressesprecher der Stadt. „Nach dem Agrarstrukturverbesserungsgesetz ist für den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen eine Genehmigung erforderlich.“ Wenn sich ein Landwirt findet, der das Areal zum sogenannten Verkehrswert kaufen will, müsse der Verkauf an alle anderen Interessenten, die keine Landwirte sind, versagt werden, erläutert der Sprecher. Sprich: Völlig egal, ob der Landwirt aus Stuttgart, Schwäbisch-Hall oder Schwerin kommt – er hat immer ein Vorrecht vor anderen Interessenten. „Für die Gänsewiese liegen Anfragen von Landwirten vor. Daher muss das Areal für landwirtschaftliche Zwecke erhalten bleiben“, sagt der Sprecher.

Rolf Wais hat mit 19 den elterlichen Betrieb übernommen

Ob der künftige Pächter ebenfalls Gänse halten wird, ist noch unklar – aber wohl eher unwahrscheinlich. Für viele der ehemaligen Kunden von Rolf Wais ist das bedauerlich. Der Gänsebauer war beliebt; auch aufgrund seines ganzheitlichen Konzepts: Das Futter für die große Gänseschar – Wintergerste, Hafer, Mais und viel Grünes – stammte stets vom eigenen Bauernhof. Und vorbestellte Tiere wurden erst einen Tag vor dem Verkauf geschlachtet.

Angefangen hatte der Familienbetrieb vor knapp 30 Jahren an der Epplestraße. Seit 1996 wurden dort Gänse gehalten. Im Jahr 2003 übernahm Rolf Wais mit 19 Jahren den elterlichen Betrieb. Bis zu seinem Tod sind auf der großen Weide vom Sommer an jährlich bis zu 1000 freilaufende Gänse aufgewachsen und verkauft worden – die meisten zu Martini und Weihnachten.