Nach dem Umsturz Madagaskars Angst vor der gestohlenen Revolution

Jetzt haben die Militärs wie Colonel Michael Randrianarina das Sagen. Foto: imago/ZUMA Press Wire

Sie stürzten den Präsidenten mit Internet-Memes und Wut. Nun ringen die digital vernetzten Demonstranten darum, die Kontrolle über ihre eigene Bewegung zu behalten.

An einem Morgen im September, als Schüsse über Madagaskars Hauptstadt Antananarivo hallten, stand Tiana Randrianjatoharimanana (28) vor einem anderen Konflikt: dem mit seinem Vater. Er war aus einer anderen Stadt der Insel angereist, ein überzeugter Unterstützer von Präsident Andry Rajoelina – und strikt dagegen, dass der Sohn gegen den Machthaber „auf die Straße“ geht. „Wir stritten viel“, sagte Randrianjatoharimanana (malagasyische Familiennamen gehören mitunter zu den längsten der Welt) dieser Zeitung. „Er wollte, dass ich zu Hause bleibe. Ich bin trotzdem los.“

 

Vorerst triumphiert die junge Generation. Am Dienstag hat die Armee unter Colonel Michael Randrianarina die Macht übernommen, nachdem Rajoelina, 51, das Land an Bord einer französischen Militärmaschine verlassen hatte. Zentrale Institutionen wurden ausgesetzt und ein Übergang zu einer zivilen Regierung und Wahlen innerhalb von zwei Jahren in Aussicht gestellt.

Die Bewegung gegen Rajoelina war dezentral, kreativ – und effektiv: Binnen drei Wochen verlor die Regierung auch die letzten Reste der Unterstützung des Volkes, dann die der wichtigsten Generäle. Auf den Straßen ist es seitdem ruhiger. Doch die Aktivisten der Gen Z, zu denen junge Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren gezählt werden, haben drängende Fragen zum Staatsumbau: Welche Rolle übernehmen sie, die den Sturz Rajoelinas mit ihren mutigen Protesten erzwungen haben?

„Diese Demonstrationen haben uns endlich eine Stimme gegeben“, sagte Randrianjatoharimanana, „davor hieß es immer, dass die Jugend die Zukunft ist und dass in sie investiert werden muss – aber letztlich wurde nichts getan.“ Weil die Infrastruktur der Wasser- und Stromversorgung zunehmend kollabierte, beteiligte sich der Mitarbeiter einer Umweltschutzorganisation täglich an den Protesten. Es handele sich schließlich um die Voraussetzung für Bildung und Arbeit. Kurz: für alles. Organisiert wurde über Discord, Telegram und TikTok. Jene, die nicht vor Ort waren, lieferten Lageinformationen. „Das hat uns handlungsfähig gemacht“, sagte er.

Ein Internet-Shutdown hätte die Wut noch mehr entfacht

Der Protest war nicht nur in der Hauptstadt sichtbar. „Die Solidarität war unglaublich, Demonstrationen fanden in allen Regionen statt“, so Randrianjatoharimanana. Mit dem Wechsel der Elitetruppe CAPSAT auf die Seite der Demonstranten kippte vor einigen Tagen das Machtgefüge dann endgültig. Präsident Rajoelina floh umgehend.

Für die Zukunft hat Randrianjatoharimanana nun klare Erwartungen: Die Reform der Wahlbehörden, Transparenz in der Übergangsverwaltung, Konsultationen der Jugend auf regionaler und nationaler Ebene.

Interessant ist, dass Rajoelina auf einen landesweiten Internet-Shutdown verzichtet hatte, unabhängige Messstellen wie NetBlocks meldeten keinen flächendeckenden Ausfall. Dieser Schritt hätte den Zorn der Jugend wohl nur noch weiter angefacht. Im Jahr 2024 wurden in Afrika mindestens 21 gezielte Internetabschaltungen in 15 Ländern dokumentiert – mehr als je zuvor. Zu der Wut angesichts von Korruption und der Tatsache, dass Madagaskar weiter zu den fünf ärmsten Ländern zählt, mischte sich auch die Frustration über die Preise für Grundnahrungsmittel. Sie stiegen in Madagaskar zuletzt so schnell wie seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 nicht mehr.

Der Präsident konzentrierte sich auf Prestigeprojekte

Studien belegen, dass Ausschläge bei Nahrungsmittelpreisen die Wahrscheinlichkeit von Unruhen deutlich erhöhen – besonders in Ländern wie Madagaskar, wo ein Großteil des Einkommens in Grundnahrungsmittel fließt.

Anstatt diese Entwicklung zu bremsen, konzentrierte sich Rajoelina lieber auf sein Prestigeprojekt: eine Seilbahn zur Entlastung des chaotischen Verkehrs in Antananarivo. Die Kosten betrugen über 150 Millionen Euro aus überwiegend französischen Krediten. Im Regelbetrieb sollte sie täglich Zehntausende Fahrgäste transportieren. Letztlich war die Bahn aber kaum im Einsatz, weil Stromausfälle die Hauptstadt lahmlegten. Zudem kostete die eher gemächliche Fahrt weit mehr als ein Busticket für die gleiche Strecke – sie war entsprechend unerschwinglich für die meisten Bewohner.

Im Juli wurde die Bahn während eines Gipfels der südafrikanischen Staatengemeinschaft SADC dennoch demonstrativ in Betrieb, ganz ohne Fahrgäste. Den Bürgerinnen und Bürgern kam diese Eitelkeit ihres Präsidenten dagegen wie Hohn vor.

Aktivist Randrianjatoharimanana macht sich derweil keine Illusionen, er ordnet die vergangenen Tage lediglich als den Beginn eines harten Weges ein. „Wir haben den Sturz von Rajoelina erreicht. Jetzt geht es um die nächsten Schritte.“

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