Nach dem Unwetter in Welzheim Hangrutsch trifft die Klingenmühle schwer

Gedeon Pacan vor seiner Klingenmühle in Welzheim. Vor dem Hochwasser wollten er und seine Frau Irena das Anwesen verkaufen. Nun plant der Besitzer, alles wieder aufzubauen – und aus der Mühle wieder eine Stätte der Begegnung zu machen. Foto: Gottfried / Stoppel

Das historische Gebäude ist vom Hochwasser und Starkregen nicht verschont geblieben. Oberhalb der Mühle kam der Hang ins Rutschen, hat das Gebäude getroffen und schweren Schaden angerichtet. Die Besitzer haben eine Vision.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Ein Grollen wie Donner ertönte, dann setzte sich am späten Sonntagabend der Hang oberhalb der Klingenmühle in Bewegung und rutschte auf das Gebäude in Welzheim zu; eine Lawine aus Erde, Geröll und tonnenschweren Felsbrocken schob sich unaufhaltsam voran. „Wir wollten gerade das eindringende Wasser, das von der Straße oben herabschoss, mit einem Brett ableiten. Da habe ich den Knall gehört, gesehen, der Hang kommt runter, und bin sofort wieder ins Haus gelaufen“, erzählt Gedeon Pacan. „Es ging nur darum, so schnell wie möglich dass Wichtigste zu retten.“

 

Straße wird zum reißenden Strom

Sohn Samuel schnappte sich die Katze, Irena und Gedeon Pacan griffen sich Handtasche und Rucksack und retteten sich ins Freie. „Ich habe um 21.32 Uhr die Feuerwehr alarmiert, da waren wir noch in der Scheune. Aber dort war es auch nicht sicher, also sind Samuel und ich durchs Wasser, nach oben zur Straße gelaufen, wo die Feuerwehr gewartet hat“, sagt Irena Pacan. Ihr Mann sicherte derweil Autos, die neben der Mühle geparkt waren. „Ich bin noch mit den beiden Autos nacheinander durchs Wasser nach oben in Richtung Bahngleis gefahren“, sagt Gedeon Pacan. „Die ganze Straße war wie ein kniehoher, 20 Meter breiter Fluss.“ Die Mutter und der 21-jährige Sohn fanden Unterschlupf im Feuerwehrauto.

Der Hang rutschte zum Glück nur langsam. Für die knapp 50 Meter bis zum Haus brauchte die Lawine etwa zwei Minuten, schätzt Gedeon Pacan. Erst an der Fachwerkmauer kam sie zum Stillstand. Die schwere Holztür brach aus den Angeln, ein Eichenbalken im Rahmen barst unter dem Druck. Fachwerkbalken in der Fassade bogen sich, knickten teilweise ein. Aber sie hielten Stand, während manche Gefächer unter der Spannung rissen oder nach innen gedrückt wurden. „Ein großer, schwerer Lehmklumpen setzte sich vor die Tür, sodass nicht noch mehr Erde und Steine ins Haus geschoben wurde“, erzählt Gedeon Pacan. Wasser und Schlamm bahnten sich ihren Weg ins Gebäude, flossen wie ein Bach über das Parkett ins Erdgeschoss, die Treppe hinunter ins Untergeschoss bis in den Keller, wo jetzt noch immer Wasser steht.

1000 Kubikmeter Erde kamen

„Wäre das kein Erdrutsch, sondern eine Schlammlawine gewesen, die schnell kommt, wäre die Mühle in die Wieslauf geschoben worden und wir mit ihr“, sagt Gedeon Pacan. „Da kamen bestimmt 1000 Kubikmeter Erde ins Rutschen“, schätzt er. Selbst riesige Felsbrocken glitten abwärts und liegen vor der Mühle. Der größte wiegt mehr als zehn Tonnen. Der Backnanger Landschaftsbauer Hans-Peter Bay, der seit ein paar Tagen unermüdlich mit den Aufräumarbeiten beschäftigt ist, hat den Koloss erst mal aus dem Weg geschoben. Pacan: „Man mag sich nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn der Fels ins Rutschen gekommen wäre oder dort oben hohe Bäume gestanden wären, die die Mühle getroffen hätten.“

Die erste Nacht hat die Familie bei Freunden in Welzheim verbracht. Zurzeit sind sie vorübergehend in einer Wohnung untergekommen. Mittlerweile ist die Mühle immerhin wieder begehbar. Ein Gutachter hat das Bauwerk geprüft. Die gute Nachricht: „Die Klingenmühle muss nicht abgerissen und kann gerettet werden“, sagt Gedeon Pacan. „Der Fachwerkkunst sei Dank. Ein gemauertes Gebäude oder eines aus Beton wäre vermutlich eingestürzt, so wie das angebaute Toilettenhäuschen neben unserer Terrasse.“ Das Ausmaß der Schäden lässt sich im Moment nicht vollständig feststellen. „Das müssen wir in den kommenden Tagen und Wochen dokumentieren, um es der Versicherung zu melden“, sagt Irena Pacan.

Schäden auch unterhalb der Mühle

Auch unterhalb der Mühle gibt es große Schäden. Der Strom der Wieslauf hat sich einen neuen, breiteren Lauf geschaffen, hat teilweise zwei Meter Vegetationsschicht abgetragen und den nackten Fels freigelegt. Bäume wurden wie Streichhölzer umgeknickt und liegen am Uferbereich. Eine uralte Weide, so hoch wie die Mühle, ist nicht mehr da. Eine Brücke, die beim Normalpegel vier Meter über dem Bachbett verläuft ist, wie viele andere entlang des Stroms, gibt es nicht mehr. Dafür liegen jetzt drei schwere Betonelemente da, die vor dem Hochwasser 500 Meter Flussaufwärts standen.

„Ich habe eine Vision“

Ursprünglich hatten die Pacans vorgehabt, das Anwesen zu verkaufen. „Ich bin froh, dass es nicht soweit gekommen ist, und dass das hier niemand anderem passiert ist, das wäre die Vollkatastrophe“, sagt Irena Pacan. „Wir haben die Mühle vier Jahre lang gelebt, sie hat uns viel gegeben.“ Gedeon Pacan will bleiben und die Mühle wieder aufbauen. „Ich habe eine Vision: Ich möchte dieses wertvolle Stück Geschichte erhalten, das haben historische Gebäude wie die Klingenmühle verdient“, sagt er. „Eines Tages steht sie wieder in voller Pracht und wird den Menschen als eine Begegnungsstätte dienen.“ Dazu soll unter anderem auch eine Spendenaktion ins Leben gerufen werden.

Die Hilfsbereitschaft sei groß, nicht nur von Freunden und Bekannten. „Es ist unbeschreiblich, wer sich alles gemeldet hat, um uns seine Anteilnahme auszudrücken, es gab tolle Reaktionen“, sagt Irena Pacan. „In der ganzen Tragödie sehe ich das Positive – wir sind am Leben.“

Kontakt Informationen über die Mühle gibt es online unter www.klingenmuehle.com

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