Nach den gewalttätigen Anschlägen von Würzburg und Ansbach reagieren viele Geflüchtete erschüttert – und besorgt. Die Vorfälle könnten ein schlechtes Licht auf alle Flüchtlinge werfen, fürchten sie. Ein Besuch bei jungen Syrern aus Stuttgart.

Stuttgart - Irgendwann musste so etwas wohl auch in Deutschland passieren, das war ihnen klar. Jedes Mal, wenn die Nachricht von einem Gewaltangriff, einem Anschlag kam, haben sie insgeheim gehofft, dass der Täter kein Flüchtling ist. „Es gibt Leute, die haben nur auf so etwas gewartet“, sagt Sahel, der vor einem Jahr aus Syrien hierher kam. Darauf, dass jemand von ihnen, den Flüchtlingen, sich radikalisiere, gewalttätig werde. Um dann sagen zu können: „Habe ich es doch gewusst“.

 

Sahel, 26 Jahre alt, sitzt in einer Gruppe von jungen Syrern auf einer Wiese an der Universität Hohenheim. Gerade eben ist der Sprachkurs zu Ende gegangen, den die Geflüchteten hier jeden Tag besuchen. Die Stimmung unter den neun jungen Männern ist gedrückt. Die Vorfälle der vergangenen Tage seien nicht nur schockierend und traurig, sagen sie hier. „Sie werfen ein schlechtes Licht auf alle Flüchtlinge, auf alle Syrer“, sagt Sahel. Das mache ihn wütend – man wolle doch einen guten Eindruck machen, hier in Deutschland. „Eine einzelne Aktion kann all die Bemühungen kaputt machen.“ Die anderen nicken.

Viele trauen sich nicht mehr, arabisch zu sprechen

Als vor etwa einer Woche ein 17-jähriger Afghane mehrere Menschen in einem Regionalzug nach Würzburg mit einer Axt angriff, erfuhren die meisten der Asylsuchenden hier über deutsche Nachrichtenportale und die sozialen Medien davon. Dann kam der Anschlag vom Sonntag, als ein 27-jähriger Syrer in der Nähe eines Open-Air-Konzertes in Ansbach einen Sprengsatz explodieren ließ. „Seither trauen sich viele von uns nicht mehr, in der U-Bahn Arabisch zu sprechen“, sagt einer der jungen Männer aus der Runde. Man spüre, dass einige Menschen hier nun skeptischer seien als vorher, nervöser, sagt ein anderer.

Dabei müsse man doch unterscheiden, betonen alle hier wieder und wieder. Psychisch angeschlagene Menschen und Verrückte gebe es schließlich überall, unabhängig von Nationalität oder Aufenthaltsstatus. Dass jemand in einem Flüchtlingscamp oder in einer Notunterkunft islamistisches Gedankengut verbreite, hat hier keiner erlebt. Flüchtlinge seien nicht grundsätzlich islamistisch eingestellt. „Wir sind doch genau vor diesem Wahnsinn, vor dem Terror geflohen“, sagt Sahel.

Der Großteil der Flüchtlinge ist integriert

Würzburg, München, Ansbach – das erinnere daran, was in ihrer Heimat passiert. Und das mache ihnen genauso Angst, wie den Deutschen, sagen sie. Von „doppelter Angst“ spricht der 26-jährige Mohammad: Von der Angst vor den Radikalen, den Verrückten, die diesen Terror entfesseln. Und von der Angst vor den Reaktionen in Deutschland. Wird es erneut Angriffe auf Flüchtlingsheime geben?

Die Bluttaten der vergangenen Tage würfen ein schlechtes Licht auf eine Gruppe, die sonst eigentlich sehr unauffällig positiv auffalle, sagt auch Tobias Klaus vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. „Im Fall von Würzburg war es einer von Zehntausenden minderjährigen Flüchtlingen hier in Deutschland, der diese schreckliche Tat begangen hat“, sagt er. Der absolute Großteil dieser jungen Leute sei ein Beispiel dafür, wie Integration gut laufen könne. Sicherlich könne man nicht vollständig ausschließen, dass einzelne sich kriminellen oder radikalen Ideen zuwenden. Werde das frühzeitig erkannt, könne man es abwenden. „Gerade deshalb brauchen wir nun nicht weniger, sondern mehr Hilfe und Betreuung.“

Auf dem Plieninger Unigelände setzt leichter Nieselregen ein. Die jungen Männer bleiben trotzdem hier, ein paar haben sich unter einem Kastanienbaum ins Gras gesetzt, wirken müde und ratlos. Eine Antwort darauf, wie man die Stimmung in Deutschland jetzt wieder beruhigen kann, haben sie nicht. „Das braucht Zeit“, sagt Mohammad, „und viel Arbeit.“ Man müsse nun noch stärker als vorher in die Gesellschaft gehen und den Leuten zeigen, dass Flüchtlinge nicht grundsätzlich gefährlich seien, sagt Sahel. „Wir stehen doch auf der gleichen Seite wie die Menschen hier in Deutschland“, sagt der Syrer. „Wir sind gegen Gewalt.“