Düstere Aussichten für die La Marras: ihr Haus in Böblingen ist wegen der Erdhebungen einsturzgefährdet, die Gebäudeversicherung hat gekündigt, offen ist, ob die Allianz die Sanierung übernimmt, und nun müssen sie ihre Übergangswohnung räumen.

Böblingen - Auf dem schwarzen Klingelschild steht der Name in weißen Buchstaben. Alle anderen, älteren Schildchen im Gebäude der Kreissparkasse sind Weiß. Im dritten Stockwerk in der Sindelfinger Straße in Böblingen, wohnen die La Marras. „Es sind 52 Stufen“, sagt Antonio La Marra. Seine Stimme klingt traurig. Im vorigen Dezember ist er mit seiner Familie in die Wohnung in der Sindelfinger Straße gezogen. Unfreiwillig, denn ihr Böblinger Eigenheim ist nach Geothermiebohrungen und den Erdhebungen so sehr beschädigt, dass es sich nicht mehr ausreichend heizen ließ. Inzwischen ist es unbewohnbar.

 

Vierköpfige Familie sucht neue Bleibe

Nun müssen die La Marras Ende des Jahres die Mietwohnung der Sparkasse wieder räumen. Eine neue Bleibe hat die vierköpfige Familie noch nicht. Vor wenigen Tagen kam zudem die Kündigung der Gebäudeversicherung für das aufgegebene Haus in der Feldbergstraße – alles etwas viel auf einmal. Wie es nun weitergeht, weiß Antonio La Marra noch nicht. Er ist jetzt erst einmal in den Urlaub gefahren. „Um den Kopf wieder ein bisschen frei zu bekommen“, sagt der 52-Jährige.

Am schlimmsten ist wohl, dass das marode Eigenheim keinen Versicherungsschutz mehr hat. „Bei einem Schadensfall haben beide Seiten das Recht zu einer Sonderkündigung“, erklärt eine Sprecherin des Verbands der Deutschen Versicherer die Auflösung des Vertrags. „Die Erdhebungen sind nicht versichert“, ergänzt Sylvia Knittel, die Sprecherin der Sparkassenversicherung. Eine Pflichtversicherung gebe es nicht mehr für das Haus der La Marras. In einem solchen Fall gehe es „auf eigenes Risiko“. So lange die anderen von Schäden betroffenen Häuser noch bewohnt seien, hätten sie noch einen Nutzwert, und die Versicherung könne bestehen bleiben, so Knittel.

Der erste, dem die Gebäudeversicherung gekündigt hat

Antonio La Marra sei bisher der einzige Hausbesitzer von bisher 190 Eigentümern mit gemeldeten Schäden, dem gekündigt worden sei, so Knittel. Sie rät ihm zudem, dafür zu sorgen, dass niemand unbefugt das Grundstück betrete. Eine Grundbesitzerhaftpflichtversicherung schütze ihn davor, wenn auf dem Grundstück jemandem etwas passiere, teilt Knittel mit. Antonio La Marra hat die ganze Angelegenheit seinem Rechtsanwalt übergeben.

Eigentlich wollte er spätestens in diesem Frühsommer wieder zurück in die Feldbergstraße ziehen. Doch ein Schreiben des Baurechts- und Bauverwaltungsamts der Stadt Böblingen durchkreuzte den Plan. Am 22. Mai wurde der Familie mitgeteilt: „Die Nutzung des Gebäudes wird ab sofort untersagt.“ Nach einer statischen Prüfung habe ein Gutachter festgestellt, dass die Standsicherheit des Hauses nicht mehr gegeben sei.

Erst sind es nur feine Haarrisse gewesen

„Die ersten Schäden habe ich im Jahr 2009 entdeckt“, sagt La Marra. Es seien feine Haarrisse gewesen, die aber immer größer geworden seien. Bald zogen sie sich vom Keller durch das Treppenhaus hinauf in das erste Stockwerk. Zuerst habe er gedacht, sie kämen von den Kanalarbeiten, die in der Straße durchgeführt worden waren. La Marra schaltete einen Rechtsanwalt ein, um gegen die Stadt zu prozessieren. Dann sei die Sache aber erst einmal liegen geblieben, weil man schon damals vermutet habe, dass die Schäden auch eine ganz andere Ursache haben könnten.

Bis ihm im vergangenen Jahr ein Schreiben von der CDU-Stadträtin und derzeitigen Sprecherin der Interessengemeinschaft Erdhebungen Böblingen, Daniela Braun, zuging: „Erst dabei habe ich erfahren, dass noch mehr Hausbesitzer von Schäden betroffen sind und was die Ursache dafür ist“, sagt La Marra. Für ihn und seine Familie war das ein Schock. Schließlich hatte er seine Ersparnisse investiert, um das im Jahr 1992 für rund 150 000 Euro erworbene Haus zu renovieren. Insgesamt rund 35 000 Euro hat der Mitarbeiter einer Maschinenbaufirma ausgegeben. Für die Familie ist das viel Geld. Monatlich bringe er 1400 bis 1500 Euro netto nach Hause, sagt La Marra.

Ein Darlehen für das Haus muss noch abbezahlt werden

Und jetzt steht die blanke Existenz der Familie auf dem Spiel. Das Haus muss noch mit 200 Euro monatlich abbezahlt werden. Für die Dachwohnung im Kreissparkassengebäude fallen im Monat 559 Euro an. Zwar erhalten die La Marras einen Mietzuschuss von der Stadt in Höhe von 300 Euro. Doch ist auch die Abstützung des Kellers im einsturzgefährdeten Haus zu bezahlen. Im vergangenen Jahr seien das 2200 Euro gewesen. Mit einer ähnlichen Summe rechne er auch für dieses Jahr. Damit das Gebäude nicht zusammenbricht, versucht La Marra etwas Geld auf die Seite zu bekommen, um eines Tages das Nötigste zu sanieren. „Wir überlegen zurzeit, ob sich meine Frau einen 400-Euro-Job sucht“, sagt er.

Dazu kommt, dass sich die La Maras eine bezahlbare, neue Wohnung suchen müssen. „700 oder 800 Euro Miete im Monat sind für uns zu viel“, sagt der Böblinger. Er wären gerne in der 107 Quadratmeter großen Dachwohnung der Sparkasse geblieben. „Sie ist hell und freundlich“, sagt der 52-Jährige. Doch die Bank verkaufe das Haus, und der neue Eigentümer habe Eigenbedarf angemeldet.

Risse werden um bis zu zwei Millimeter monatlich breiter

Hin und wieder leert Antonio La Marra den Postkasten in der Feldbergstraße und schaut nach den Rissen. Sie sind an manchen Stellen schon rund drei Zentimeter breit. Monatlich kommen bis zu zwei Millimeter dazu. Das liest er an den Messstreifen ab, die überall im Haus angebracht sind. Bevor die Bohrlöcher mit den Geothermiesonden aber nicht saniert sind und so lange sich die Erde weiter hebt, ist an eine Sanierung des Gebäudes nicht zu denken.

Zumal noch überhaupt noch nicht geklärt ist, ob die Allianz-Versicherung, bei der die Bohrfirma unter Vertrag steht, die Kosten übernimmt. „Wir sind in Gesprächen mit dem Umweltministerium, dem Landratsamt und der Interessengemeinschaft der Hauseigentümer und prüfen gemeinsam, welche Untersuchungen erforderlich sind, um die Ursache für die Schäden festzustellen“, sagt Claudia Herrmann von der Unternehmenskommunikation der Allianz Deutschland. Dabei sind sich die Experten inklusive jener im Landesamt für Geologie in Freiburg darüber einig, dass die Erdwärmebohrungen „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ Schuld sind an der verheerenden Situation.

Wasserwirtschaftamt: Der letzte Beweis fehlt noch

„Der letzte Beweis fehlt uns noch“, sagt allerdings Jochen Weinbrecht, der Leiter des Böblinger Wasserwirtschaftsamts. Es seien Erkundungsbohrungen geplant, um zu erforschen, ob Wasser in Anhydridschichten eingedrungen sei und ob sich deshalb die Erde hebe. Erst wenn dies in den Bohrungsgebieten in Böblingen der Fall sei, habe man gegenüber der Allianz etwas in der Hand. Wann die Erkundung stattfindet, stehe, so Weinbrecht, aber noch nicht fest. Es gebe nur wenige Firmen, die auf diesem Gebiet genügend Erfahrung hätten. Deshalb dauere es eine Weile, bis ein Unternehmen beauftragt werden könne, begründet er die abermalige zeitliche Verzögerung. Denn die Nachforschungen sind seit Monaten versprochen.

Antonio La Marras Geduld ist am Ende, er ist der Verzweiflung nah „Ich muss jetzt ein bisschen abschalten“, sagt er. In seinem italienischen Heimatort San Castrese, wo er nun mit seiner Frau und seinen Töchtern Urlaub macht, leben noch sein Vater und andere Verwandte. Zurück in seine alte Heimat zu ziehen, kommt für ihn nicht in Frage – trotz allem, was er gerade durchmacht. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit würde er ohnehin kaum einen Job finden. „Ich lebe seit meinem zwölften Lebensjahr in Deutschland“, sagt der 52-Jährige, „ich bin hier verwurzelt. Ich möchte mit meiner Familie in Böblingen bleiben.“