Viele junge Menschen in Asperg haben einen aus ihrer Mitte verloren. Der Jugendhausleiter Rainer Öxle spricht über den Umgang mit der Trauer.

Das Jugendhaus in Asperg liegt nur einen Steinwurf weit von dem Ort entfernt, an dem vor einer Woche ein junger Mann bei einer Schießerei ums Leben kam. Sein Name war Lukas, so steht es auch auf dem Kreuz, das inzwischen inmitten zahlloser Kerzen und Blumen, Kuscheltiere und Bilder an einem Baum am Tatort aufgestellt wurde.

 

Durch die Medien bekommen Jugendliche schneller alles mit

Der Schotterparkplatz, auf dem das Verbrechen geschah, ist mitten im Ort, genau wie zwei Kindergärten, die Goethe-Grundschule, ein Bolzplatz und eben auch das Jugendhaus. Rainer Öxle leitet dieses Jugendhaus in Asperg seit fast 35 Jahren. Eine Schießerei hat er aber noch nie erlebt. Der Sozialpädagoge spricht von einer „neuen Dimension“. Auseinandersetzungen hätte es immer gegeben. „Aber nicht in diesem Rahmen.“ Dass die Gewalt immer weiter zunimmt, sieht der Jugendhausleiter allerdings so nicht direkt. „Die Atmosphäre im Jugendhaus ist schon geraume Zeit sehr angenehm, fast familiär. Da habe ich schon schwierigere Zeiten erlebt. Auch provokativere.“

Rainer Öxle nennt es ein Auf und Ab. „Das ist keine lineare Entwicklung. Die Zeiten sind nicht schlechter geworden, aber anders.“ Durch die Medien bekommen die Jugendlichen schneller alles mit, das habe Auswirkungen. „Es ist eine andere Art der Konfrontation, die dazu kommt.“

Den Trauernden soll nichts aufgezwängt werden

Der 18-jährige Lukas, das Opfer des Angriffs auf dem Parkplatz, gehörte selbst zu den Besuchern des Asperger Jugendhauses. Genauso wie der gleichaltrige junge Mann, der nach den Schüssen jetzt schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Bei den Freunden, Bekannten, dem ganzen Umfeld, spürt man die Trauer, sagt Rainer Öxle. Um ihr zu begegnen wurde im Jugendhaus ein Raum geschaffen, in den sich die trauernden Jugendlichen zurückziehen können.

Es ist ein umfunktionierter Konferenzraum im zweiten Stock: einige Stühle, elektrische Kerzen und Teelichter, etwas Deko, Stifte, Papier. Wer will, kann hier seine Gedanken niederschreiben, kann mit anderen sprechen, kann trauern. Der Schulsozialpädagoge Tobias Keller betreut das Angebot, er ist vor Ort, geht ins Gespräch. Wenn der Wunsch danach da ist. Wenn nicht, ist das aber auch okay. Den Trauernden soll nichts aufgezwängt werden. „Wir möchten nicht drängen. Wir wollen nur da sein und das Angebot machen“, sagt Rainer Öxle. Und er sagt auch: „Man kann die Jugendlichen in ihrer Trauer begleiten. Aber man kann ihnen die Trauer nicht abnehmen.“

Nach dem anfänglichen Schock kommen jetzt die Gefühle

Das Jugendhaus, der Ort der Stille dort, bietet zusätzlichen Raum in Asperg für die Trauernden. Viele kommen aber auch direkt auf den Schotterparkplatz, wo Lukas erschossen wurde. Die Blumen, Kerzen und Andenken an dem Baum sind noch viel mehr geworden als noch Anfang der Woche. Und sie sind mittlerweile mit einer Plane überdacht worden. Aus dem Jugendhaus wurden zudem ein paar Holzstühle hier her gebracht, damit sich die Menschen – junge wie auch ältere – dort auch niederlassen und etwas verweilen können. Oft sind Erwachsene, auch Lehrer der umliegenden Schulen, vor Ort, um Ansprechpartner vor allem für die jungen Trauernden zu sein.

Jeder trauert ganz unterschiedlich. Nach der Schweizer Psychoanalytikerin Verena Kast ist nach dem anfänglichen Schock jetzt die Phase, in der die Gefühle hochkommen: Trauer, Wut, auch Angst. Das beobachtet auch der Asperger Jugendhausleiter. Trauern Jugendliche anders als Erwachsene? Rainer Öxle kann keinen wesentlichen Unterschied feststellen. „Ob es so etwas wie Trauererfahrung gibt?“, fragt er. „Vielleicht weiß man, wenn man älter ist, dass es weitergeht. Für Jüngere bricht eher die Welt zusammen.“ Er betont aber auch, dass wohlgemeinte Worte und dieses „Ich weiß, wie du dich fühlst“ oft gar nichts bringt. „Die brauchen keine Ratschläge, die brauchen Zeit.“

Dass sie viele sind, die um Lukas trauern, sieht der 61-Jährige als Vorteil an. Sie sind Schicksalsgenossen. „In der Trauer können sie so das Gefühl haben, dass sie aufgehoben sind.“ Aufgehoben sollen sie auch im Jugendhaus sein. Im Raum der Stille, aber auch im offenen Bereich. Der läuft ganz normal weiter. Es wird beisammen gesessen, auch mal gelacht. „Lachen gehört zum Leben dazu. Aber es darf die Trauer darf nicht wegschieben“, sagt Öxle. Einfach da sein und Musik hören . . . „Ich habe den Eindruck, es tut ihnen gut.“