Die Übergriffen in Köln haben unter der deutschen Bevölkerung für Verunsicherung gesorgt. Im Netz kommt es zu Rufen nach Selbstschutz und Bürgerwehren. Die Behörden sind besorgt.

Tuttlingen - Sie wollen Runden durch die Innenstädte drehen, auf Frauen und Kinder aufpassen, selbst für Sicherheit auf den Straßen sorgen - aber wie genau? Nach den Übergriffen auf Frauen in Köln vernetzen sich mehr und mehr Bürger im Internet, um die Sicherheit in die eigene Hand zu nehmen. In Tuttlingen und Rottweil wollen Rocker verstärkt Präsenz zeigen. Behörden warnen vor Willkür und Selbstjustiz.

 

Die Rockergruppe „Red Devils“, eine Unterstützergruppe der Hells Angels, will in Tuttlingen und Rottweil aktiv werden. „Es ist eine Schande was in letzter Zeit auf Deutschlands Strassen los ist“, schreibt der Tuttlinger Ableger des Biker-Clubs auf Facebook. Frauen und Kinder hätten Angst, sobald es dunkel wird das Haus zu verlassen. Und die Polizei unternehme nichts gegen die Zustände. „Deshalb werden wir ab sofort verstärkt unterwegs sein. Solltet ihr euch bedroht vorkommen, sprecht uns an. Wir helfen ohne wenn und aber.“

Der Eintrag unter der Überschrift „Solidarität für Deutschland“ gefiel bislang mehr als 2100 Personen und wurde mehr als 1500 Mal geteilt (Stand: Donnerstag). Der Rottweiler Ableger des Clubs veröffentlichte einen gleichlautenden Eintrag.

„Wir haben alle Landesdienste um verstärkte Aufklärung gebeten“, sagt Sigurd Jäger, Leiter der Inspektion Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt. Die „Red Devils“ zählten 75 Mitglieder im Land und seien bereits durch Gewaltstraftaten aufgefallen. „Es passt in die Strategie der Rockerclubs, sich als die Guten zu präsentieren.“

Rocker patrouillieren in Tuttlingen 

Zumindest die Tuttlinger Kuttenträger belassen es offenbar nicht bei Ankündigungen im Netz. Am Dienstagabend seien zwei Rocker durch die Stadt patrouilliert und von der Polizei kontrolliert worden, berichtet der örtliche Polizeisprecher Thomas Kalmbach. „Und am Mittwochabend wurden 10 bis 12 Rocker am Zentralen Omnibusbahnhof gesehen.“ Selbstjustiz oder Zivilcourage? „Wenn die ganz normal spazieren gehen, kann keiner was dagegen haben“, sagt Kalmbach. „Wenn man sich zu Schutzgehabe aufdrängt, wird die Polizei einschreiten müssen.“

Der Polizei obliegt es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Deshalb habe man sich nach dem Online-Aufruf in Tuttlingen und Rottweil mit den „Red Devils“ zusammengesetzt. „Sie wurden auf die Rechtslage hingewiesen, was sein kann und was nicht“, berichtet der Polizeisprecher. Zwar sei auch Tuttlingen kein straffreier Ort. „Aber solche Geschehnisse, wie sie in Köln vorgefallen sind, haben wir hier nicht.“

In der Silvesternacht waren in Köln nach Polizeiangaben Dutzende Frauen von kleineren Gruppen umzingelt, sexuell belästigt und bestohlen worden. Opfer und Zeugen sprachen von arabischen Tätern, vor allem aus Nordafrika. Der Polizei wird Versagen vorgeworfen.

Die Stadt Tuttlingen zeigt sich besorgt über den Aufruf und warnte vor Willkür und Selbstjustiz. „Eine Rockergruppe, die einem Milieu entstammt, das nicht durch besondere Frauenrechte auffällt, ist nicht die Gruppe, die man als Schutz hinzuziehen würde“, kritisiert ein Sprecher der Stadt.

„Ich glaube nicht, dass man sich mit Rockergruppen an einen Tisch setzen sollte, um über das staatliche Gewaltmonopol zu reden“, sagt auch der Sprecher des Innenministeriums, Andreas Schanz. Minister Reinhold Gall (SPD) hatte bereits am Dienstag verkündet, dass er von Rockern gewiss keine Hilfe brauche.

Diverse Gruppen bei Facebook

Entwicklungen in sozialen Medien will das Ministerium beobachten. Auf Facebook sind in den vergangenen Tagen einige Gruppen entstanden, die zur Selbsthilfe aufrufen - mittlerweile gibt es digitale Bürgerwehren von Freiburg bis Friedrichshafen. Die Gruppe „Stuttgart passt auf“ ruft etwa auf, gemeinsam an Wochenenden oder Veranstaltungen durch „Präsenz und Gewaltlosigkeit“ Straftätern klarzumachen, dass so etwas absolut nicht toleriert wird. Die Organisatoren solcher Gruppen distanzieren sich häufig von Fremdenfeindlichkeit oder Gewalt - dennoch finden sich dort immer wieder Einträge, die eine stramm rechte Gesinnung vermuten lassen.

Im schwäbischen Biberach sorgte die Facebook-Gruppe „Biberach passt auf“ in den vergangenen Tagen für rege Diskussionen. „Das bei uns im Ländle nicht so etwas wie in Stuttgart oder Köln passiert, haben wir beschlossen uns in Biberach zu mobilisieren, getreu nach dem Motto: Agieren, statt reagieren!!!“, steht darin zu lesen. Binnen weniger Tage schlossen sich mehr als 1100 Menschen (Stand: Donnerstag) der Kleinstadt-Gruppe an.