Die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht greifen die Parteispitze an. Der Vorwurf: Die Partei habe sich zu stark auf neue, großstädtische Wählermilieus konzentriert. Der Vorsitzende Riexinger wehrt sich.

Berlin - Die Linke ist nach den beiden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen schwer angeschlagen. Die „Stimme des Ostens“ zu sein machte lange Zeit einen wichtigen Teil des Stolzes und der Identität der Partei aus. Diesen Anspruch kann sie nach den Resultaten vom Wochenende aktuell nicht mehr ernsthaft erheben. In gewissem Umfang hat die AfD diese Funktion übernommen. Die Parteiführung betont zwar, dass die Linke tatsächlich mehr Wähler an CDU, SPD und Grüne verloren habe. Aber der Hinweis kann die nun mit Wucht aufbrechende neue Richtungsdebatte nicht eindämmen.

 

„Ein beispielloses Desaster“

Es ist bemerkenswert, dass diesmal einer diese Debatte begonnen hat, der bislang eher als cleverer Taktierer galt. Dietmar Bartsch, der Fraktionschef im Bundestag, hatte noch am Wahlabend über „twitter“ den Ton gesetzt: „Meine Partei hat an diesem Sonntag ein beispielloses Desaster erlebt“, schrieb er. Nun müsse man „strategische, programmatische und weitere Grundfragen stellen“. Später markierte er deutlicher, worüber er streiten will: „Welche Rolle spielen wir im Parteiensystem? Was sind unsere zentralen Zielgruppen?“ Genau darum entbrennt nun der Streit.

Was Bartsch andeutet, formuliert Sahra Wagenknecht, die scheidende Co-Fraktionsvorsitzende, in gewohnt brachialerer Formulierung: Die Linke müsse klären, für wen sie stehen wolle, sagte sie. „Für die gut ausgebildete, gehobene Mittelschicht in den Metropolen oder für diejenigen, die um ihr bisschen Wohlstand immer härter kämpfen müssen?“ Wenn die Linke Menschen „jenseits des hippen Großstadt-Milieus erreichen“ wolle, müsse sie „ihre Sicht der Dinge ernst nehmen, statt sie zu belehren, wie sie zu reden und zu denken haben“, sagte sie.

Wird die Linke zur Lifestyle-Partei?

Das ist der Kern des Vorwurfs: Die Linke habe sich, sagen die Kritiker des Kurses des Parteispitze, zu wenig um die klassische Arbeiterschaft, Erwerbslosen und Rentner gekümmert und entwickele sich zu einer grün-liberalen Lifestyle-Partei.

Im Gespräch mit unserer Zeitung trat Parteichef Bernd Riexinger dieser Position entgegen. „Das Thema soziale Gerechtigkeit ist ein Kernelement linker Politik“, sagte Riexinger. „Aber es ausschließlich in den Vordergrund zu stellen, wäre ein Schritt zurück und nicht erfolgreich.“ Tatsächlich hatte sich die linke Doppelspitze Katja Kipping und Bernd Riexinger darum bemüht, die Partei in neuen Wähler-Milieus anschlussfähig zu machen. Etwa bei den Beschäftigten in der Gesundheitsbranche oder in akademischen Großstadt-Milieus führte das durchaus zu Erfolgen. Zu Lasten der klassischen Stammwählerschaft? Man dürfe keinesfalls Milieus gegeneinander ausspielen, sagt Riexinger. „Der Fahrradkurier in der Großstadt trägt vielleicht ein schickes Hemd und trinkt Latte macchiato, aber es ist dennoch ein prekär Beschäftigter.“ Im Gegenteil müsse die Linke „den begonnenen Weg fortsetzen“, neue gesellschaftliche Gruppen für sich zu erschließen. „Dazu gehören junge Klima-Aktivisten genauso wie Beschäftigte in Gesundheitsberufen, der Logistik-Branche oder Verkäufer.“ Es müsse gelingen, auch die Themen anzusprechen, die junge Menschen umtreibt: Klimawandel, sozial-ökologischer Umbau, Digitalisierung.“

Auch über den Kurs in der Klimapolitik wird gerungen

In der Tat ist Klimapolitik auch ein Streitpunkt. Wagenknecht hatte Zweifel angemeldet, ob ihre Partei die Forderung nach einer CO2-Steuer erheben solle, weil das auch viele Pendler treffen würde. Riexinger will das Thema Klima aber systematisch bearbeiten. Sein Standpunkt: „Es ist der völlig falsche Weg, Klimaschutz gegen soziale Gerechtigkeit auszuspielen. Wir haben eher zu spät angefangen, diese Aspekte in einem linken Entwurf zusammenzubringen“. Er verknüpft das, ohne Wagenknecht beim Namen zu nennen, mit einem schweren Vorwurf: „Es schadet uns massiv, wenn aus der Partei heraus die Behauptung aufgestellt wird, wir verträten die Interessen der Ärmeren nicht mehr.“