Der Gerlinger Bürgermeister Georg Brenner hat eine Auszeichnung des ungarischen Staates abgelehnt. Danach ist über die Stadt überregional berichtet worden, ungarische Diplomaten waren bei Brenner zu Gast. Der Bürgermeister bereut seine Entscheidung nicht – und freut sich über die Diskussion, die er angestoßen hat und das Interesse, das er nicht nur bei der Gerlinger Bevölkerung an Europa geweckt hat.

Das Interesse der Bevölkerung an der Europa-Politik sei gestiegen, seit er die Auszeichnung des ungarischen Staates abgelehnt habe, beobachtet Georg Brenner. So gut dies sei, er verhehlt nicht, dass manche Reaktionen ihn belasteten.
Herr Brenner, seit dem letzten Interview sind vier turbulente Wochen vergangen, inzwischen waren Sie in Ungarn. Beginnen wir mit derselben Frage: Wie geht es Ihnen?
Die letzten drei Monate waren eine ganz besondere Zeit für mich. Seitdem ist Ungarn bei mir omnipräsent. Die vielen Reaktionen, die auf die Ablehnung des Ordens in jeglicher Hinsicht gekommen sind, haben mich berührt, betroffen und nachdenklich gemacht. Sie haben mir auch gezeigt, dass Ungarn bei uns in der Stadt Gerlingen ein Thema bleiben soll. Nicht nur in der Städtepartnerschaft, sondern auch in der Betrachtung der ungarischen Politik.

Unter den vielen Reaktionen hat Sie jene Ihres Amtskollegen József Michl aus Tata wohl am meisten getroffen. Sie haben ihn zwischenzeitlich getroffen.
Man kann sicher nicht sagen, dass es wieder so ist, wie es früher war. Zu der alten Vertrautheit müssen wir erst wieder zurückfinden. Es war wichtig, dass wir persönlich zusammengekommen sind. Kollege József Michl hat mir zu verstehen gegeben, dass meine Ablehnung die Ungarn in ihrem Stolz getroffen und zum Teil auch beleidigt hat. Wir habe auch festgestellt, dass wir in der politischen Betrachtung dessen, was Europa an Ungarn kritisiert, unterschiedlicher Meinung sind.

Hat er sich, hat er die Ungarn denn erklärt?
Er hat deutlich gemacht, dass die Politik seiner Regierungspartei nach wie vor darauf ausgerichtet sei, einen starken Nationalstaat Ungarn zu bauen, der sich in Europa präsentiert. Das ist recht und gut, aber das kann nur im Kontext des europäischen Vertrags, der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit passieren. Über diese Themen wollen wir miteinander im Gespräch bleiben. Wir haben uns gegenseitig versichert, dass wir sie nicht ausklammern werden, trotz der unterschiedlichen Grundbetrachtungen.

Hat er die Kritik akzeptiert?
Er hat mir, ebenso wie der Botschafter und der Generalkonsul, deutlich gemacht, dass man ihnen zu sehr auf die Finger schaut: Man würde sie ungerecht behandeln, man wäre wenig dankbar für die Leistungen, die Ungarn in Europa erbracht hat. Ich denke, die ungarische Regierung spielt diese Karte auch innenpolitisch. Das war auch eine Erkenntnis, die ich von der Reise nach Ungarn mitgebracht habe Denn die wirtschaftliche Entwicklung, wie sie sich viele Ungarn erhofft haben, ist nicht ganz so eingetreten. Über das nationalstaatliche Thema versucht man den Zusammenschluss des Volkes und will vielleicht auch von anderen Themen ablenken.

Können Sie Ihren Kollegen denn verstehen?
Die Ungarn sind sehr empfindsam, sensibel, und wenn sie sich nicht beachtet fühlen, können sie fast ein wenig depressiv werden. Aus dieser Erklärung der ungarischen Mentalität, wenn sie tatsächlich so zutrifft, kann ich es verstehen. Auf mich übertragen kann ich es nicht. Ich habe im Gespräch – ebenso wie im Gespräch mit dem Botschafter und dem Generalkonsul - versucht, klar zu machen, dass ich als Gerlinger Bürgermeister nicht das Sprachrohr einer ungarischen Opposition bin und dass ich mich allumfassend aus den Medien in Europa informiere und dass die kritischen Fingerzeige im Europarat, im europäischen Parlament und von der Kommission nicht grundlos sind. Und dass Kritik dahintersteckt, die man in der Völkergemeinschaft Europa auch akzeptieren muss.

Es gibt ja nun positive Entwicklungen.
Ja. Ich habe dem Kollegen Michl und dem Botschafter versichert, dass ich positive Entwicklungen transportiere. Ungarn will ja jetzt auf die Kritik eingehen, das ist allerdings schon die fünfte Verfassungsänderung. Eine positive Entwicklung ist auch, dass das Land aus dem Defizit-Verfahren entlassen werden soll. All dies trägt sicher dazu bei, dass die Ungarn in ihrem Verhältnis zu Europa entspannter werden.

Ist spätestens nach Ihrer Ungarn-Reise auch die Städtepartnerschaft in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen?
Ja, davon darf man ausgehen. Was die Städtepartnerschaft betrifft, war ja kein Stillstand, sondern das lief wie bisher weiter zwischen den Verwaltungen. Ich werde am 20. August mit einer Delegation nach Tata fahren, wenn die Stadt mit dem Europapreis ausgezeichnet wird. Ich gehe auch fest davon aus, dass eine Delegation sowohl zum Straßenfest als auch zu unserem Europafest kommt, bei dem wir das 25-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Seaham feiern. Ich denke schon, dass auch der Kollege Michl mitkommt.

Gerlingen hat im vergangenen Vierteljahr auch überregional sehr viel Aufmerksamkeit erfahren. Gehen Sie, geht die Stadt gestärkt aus dieser Zeit hervor?
Ich denke schon. Die Diskussion in Gerlingen mit den Vertretern des ungarischen Staates war noch nie so intensiv, es waren wertvolle Gespräche. Ich hoffe nicht, dass das Interesse an Gerlingen nachlässt; ich werde die Kontakte weiter pflegen. Ich weiß aus Gesprächen nach der überregionalen Berichterstattung, dass andere Kommunen im Land, die Städtepartnerschaften nach Ungarn pflegen, vor der gleichen Frage stehen, wie man mit dem Thema „Ungarn und Europa“ umgeht. Daher überlege ich, ob wir in Gerlingen eine Podiumsdiskussion machen mit Vertretern des ungarischen Staates, der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, vielleicht auch mit dem Gemeinde- und Städtetag, um über die Beziehungen zwischen den Kommunen, über die ungarische Politik und unterschiedlichen Sichtweisen in Europa und Ungarn zu informieren. So könnten wir in Gerlingen den Dialog ermöglichen und Hilfestellung geben für alle Kommunen, die Kontakte nach Ungarn pflegen.

Ihre ganz persönliche Erkenntnis aus dem vergangenen Vierteljahr lautet . . .
Es ist einfacher einen Orden anzunehmen als abzulehnen. Die zweite Erkenntnis ist, dass ich es heute nicht anders machen würde als damals, am 8. April. Positiv stimmt mich, dass ein Prozess angestoßen wurde; dass Gespräche stattgefunden haben, dass eine Diskussion zustande kam: Auch in Gerlingen habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich nun viel mehr Menschen mit der aktuellen ungarischen und europäischen Politik befassen. Das ist gut.