Vor zwei Jahren trat Nikolaus Schneider als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands zurück, um seine krebskranke Frau Anne bei der Therapie zu unterstützen. Mit seinen privaten Äußerungen stand das Ehepaar kontrovers zur offiziellen Kirchenmeinung. Ein Besuch bei den Schneiders.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Berlin - Es sind 71 Stufen bis zu uns“, ruft Anne Schneider dem Gast entgegen. Sie steht in der offenen Wohnungstür und streckt die Arme freundlich zur Begrüßung aus. „Meine Physiotherapeutin sagt, ich kann das“, beantwortet sie die noch gar nicht gestellte Frage, ob eine Wohnung im dritten Stock nicht zu anstrengend sei für eine Frau, um deren Gesundheitszustand es vor zwei Jahren alles andere als gut stand. „Drei, vier Monate lang war die Möglichkeit, dass ich sterben würde, doch sehr realistisch“, sagt die 67-Jährige rückblickend. So realistisch, dass sie schon mal mit einem Freund über ihre Beerdigung gesprochen habe. Anne Schneider ist sehr direkt, auch wenn es um ihre eigene Krebserkrankung geht.

 

Ebenso offen geht ihr Mann mit der Krankheit um. Bis zum 10. November 2014 war Nikolaus Schneider (68) Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Aber schon vier Monate zuvor, am 30. Juni, kündigte er seinen vorzeitigen Rücktritt vom Amt an. Er trete zurück, um seiner Frau beizustehen, die an Krebs erkrankt sei, sagte er in Kameras und Mikrofone. „Ich wollte den Rücktritt ein bisschen erklären, damit keine falschen Mutmaßungen angestellt werden“, erinnert er sich. Die EKD und die 23 Millionen Protestanten Deutschlands hatten mit seiner Vorgängerin Margot Käßmann schon einmal ein Oberhaupt nach einem plötzlichen Rücktritt verloren.

Die Schweiz als letzter Ausweg

Die Medienanfragen kamen natürlich trotzdem. Für deren Beantwortung konnte Schneider noch auf das Presseamt der EKD zurückgreifen. Die Schneiders gaben zwei große Interviews, der „Zeit“ und dem „Stern“ – und sprachen auch über das Thema Sterbehilfe. Das sei nicht geplant gewesen. Aber darauf angesprochen, sprachen sie sehr offen und auch sehr ausführlich. Wenn gar nichts mehr helfe, dann würde sie auch in die Schweiz fahren, um sich helfen zu lassen, sagte Anne Schneider. Ihr Mann sah und sieht das anders. Wenn Anne es wünsche, werde er sie aber in die Schweiz begleiten, bekannte er damals und meint es noch heute.

Die Worte zur Sterbehilfe aus dem Mund des höchsten Amtsträgers der evangelischen Kirche bewegten das Land, brachten Zustimmung und Kritik. Die Schneiders hatten aus ihrer Sicht ein Thema angesprochen, das 2014 in der Luft lag. Der Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sterbehilfeparagrafen war in Arbeit, die EKD hatte die Sterbehilfe konsequenterweise zum Jahresthema gemacht. Dass sich aber ihr Präses in einem an sich privaten Gespräch so weit aus dem Fenster lehnen würde, „hat die Pressestelle nervös gemacht“, sagt Nikolaus Schneider. Dabei hatte das Ehepaar nur ausgesprochen, „was in unseren Gesprächen seit der Gesetzesänderung in den Niederlanden und in Belgien seit zehn Jahren Thema ist“, sagt Anne Schneider. Sie habe damit sagen wollen, „dass ich die Schweizer Regelung gut finde“. Dort ist die assistierte Selbsttötung durch Sterbehilfevereine wie Exit und Dignitas nicht strafbar. Es sind vor allem Deutsche, die diese Hilfe in Anspruch nehmen.