Im März rückten türkische Truppen in der syrischen Kurdenhochburg Afrin ein. Die Stadt gleicht seither einer Trümmerwüste, in der sich zögernd das Leben regt. Doch was passiert nach dem Abzug?

Afrin - Schwer bewaffnete Jugendliche mit sonnenverbrannten Gesichtern und den roten Armbinden der syrischen Sultan-Murat-Miliz bemannen Kontrollpunkte auf dem Weg nach Afrin, auf den Straßen kreuzen türkische Panzerwagen; in der Ferne steigt Rauch auf. Im Stadtzentrum haben die Läden geöffnet, doch die einkaufenden Frauen bahnen sich ihren Weg zwischen bewaffneten Männern hindurch, die für Ruhe und Sicherheit sorgen sollen. Noch sind es kampferfahrene Mitglieder türkischer Spezialeinheiten, die in Afrin wachen, doch bald sollen Jungen wie Hossein das übernehmen – ein 22-jähriger Syrer, der von den türkischen Besatzern gerade im Schnellkurs zum Polizisten ausgebildet wird. Schon in einer Woche wolle Ankara damit beginnen, die Verwaltung und Verteidigung von Afrin an die Einheimischen zu übertragen und die türkischen Kräfte aus der Stadt zurückzuziehen, verkünden türkische Regierungssprecher vor internationalen Journalisten in Afrin. Hossein schüttelt den Kopf, als er davon hört. „Unmöglich“, sagt der junge Syrer. „Wir schaffen das nicht.“

 

Ankara will keine Beatzungszone errichten

Da könnte er recht haben. Die umliegenden Dörfer sind mit Betonbunkern übersät, in der Stadt zeugen Einschusslöcher in Fabrik- und Wohngebäuden von den Kämpfen der vergangenen Monate. Die Gegend um Afrin war nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges vor sieben Jahren zunächst verschont geblieben. Syrische Regierungstruppen zogen sich aus der Stadt mit ihren mehr als 30 000 Einwohnern zurück, in der die syrische Miliz YPG das Ruder übernahm. Die YPG, syrischer Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK, begann in Afrin und anderen Teilen Nord-Syriens mit dem Aufbau einer Selbstverwaltung, die von der Türkei als Bedrohung betrachtet wird.

Die Herrschaft der Kurden endete im März dieses Jahres: Türkische Truppen, unterstützt von pro-türkischen Kampfverbänden der Freien Syrischen Armee, vertrieben die YPG von der türkischen Grenze und aus Afrin. Rund 4500 kurdische Kämpfer wurden nach Angaben Ankaras getötet.

Nun öffnen die türkischen Behörden Afrin erstmals seit der Vertreibung der YPG für ausländische Journalisten und verkündete den bevorstehenden Abzug. Die Türkei wolle in Afrin keine Besatzungsmacht auf Dauer sein, betonten Regierungssprecher bei einem Briefing in Afrin. 140 000 Menschen sind nach türkischen Angaben bereits in die Region zurückgekehrt. Doch Afrin ist noch lange nicht so befriedet, wie Ankara es gerne hätte. Es zeigt sich, dass die Türkei zwar auf den Krieg gegen die YPG vorbereitet war, weniger aber auf den Frieden danach.