In Italien triumphiert der Rechtspopulist Salvini bei der Europawahl und hängt die Partner der Fünf-Sterne-Bewegung vollends ab. Doch an der Regierungskoalition wollen beide Parteien festhalten – vorerst zumindest.

Rom - Der große Gewinner in Italien heißt wenig überraschend: Matteo Salvini. Dennoch haben mit einem so eindeutigen Ergebnis wohl die wenigsten gerechnet. Die Lega des italienischen Innenministers hat bei den Europawahlen am Sonntag 34,3 Prozent der Stimmen erhalten und konnte damit ihr Ergebnis aus den nationalen Wahlen im vergangenen März nahezu verdoppeln. Verglichen mit der Europawahl 2014 fällt der Sieg noch drastischer aus: Die damals noch unter dem Namen „Lega Nord“ angetretene Partei kam vor fünf Jahren auf lediglich 6,2 Prozent.

 

Mit dieser Europawahl werden die innenpolitischen Kräfteverhältnisse Italiens ordentlich durcheinandergewirbelt. „Die Wahl war für Italien quasi der zweite Teil der nationalen Wahlen vom vergangenen Jahr“, sagt Antonio Noto, Direktor des italienischen Umfrageinstitutes IPR Marketing. Es sei im Wahlkampf lediglich um nationale Themen gegangen, europäische wurden nur am Rande gestreift.

Wie wahrscheinlich sind Neuwahlen in Italien?

Wo es einen eindeutigen Gewinner gibt, gibt es auch einen eindeutigen Verlierer: Die eigentliche Regierungspartei, die Fünf-Sterne-Bewegung, die derzeit mit 32,7 Prozent mit Abstand die Mehrheit im Parlament in Rom hat, erhielt am Sonntag von den Italienern nur noch 17,1 Prozent. Und landete damit sogar nur auf Platz drei, weit hinter dem sozialdemokratischen Partito Democratico, der mit 22,7 Prozent ein überraschend gutes Ergebnis hinlegte – gemessen am Ergebnis der letzten nationalen Wahlen, bei denen der PD nur 18,7 Prozent einfahren konnte.

Nach Wochen des politischen Streites innerhalb der Regierungskoalition steht nun die Frage im Raum: Wie geht es in Rom weiter? Bereits im Vorfeld der Europawahlen war viel über Neuwahlen spekuliert worden, sollte die Lega mehr als 30 Prozent der Stimmen erhalten. Politikexperte Giovanni Orsina schätzt die Wahrscheinlichkeit für Neuwahlen nun auf über 50 Prozent ein.

„Wir machen weiter wie bisher, es wird sich nichts ändern“, sagte Salvini jedoch am Montag mit Blick auf die Regierungskoalition in Rom. Mehr als 50 Prozent der Wähler hätten den Regierungsparteien ein Jahr nach der Regierungsbildung am Sonntag ihre Stimme gegeben, so der Innenminister und Vizepremier. „Dieses Vertrauen müssen wir gut nutzen.“ Er habe nicht vor, nach dieser Wahl den Chefsessel einzunehmen. Mit Luigi Di Maio, dem Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, werde man wieder zu einer guten Beziehung zurückfinden.

Die Fünf-Sterne-Bewegung hat keine Alternative

Damit kehrt wohl erst einmal Ruhe in das Spekulations-Karussell ein. Bleibt die Frage, für wie lange. Denn dass Salvini seine neue Macht nun hinter den Kulissen ausspielen dürfte, scheint allen Beobachtern klar zu sein. Die Fünf-Sterne-Bewegung von Luigi Di Maio befindet sich damit in einer Zwickmühle. Stellen sie sich in der Regierung quer, könnte Salvini doch mit Neuwahlen drohen. Zu Salvinis Hauptanliegen zählen Steuersenkungen und die Realisierung von Infrastrukturprojekten wie die Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Lyon und Turin (TAV), die die Fünf Sterne stoppen wollen.

Ein vorgezogener Urnengang wäre aber auch für den Lega-Chef nicht ohne Risiko. Experten gehen davon aus, dass mit dem jetzigen Ergebnis der Höhepunkt dessen erreicht ist, was er an Wählerstimmen erreichen kann. Er bräuchte also weiterhin einen Koalitionspartner. Silvio Berlusconi, dessen Forza Italia bei den Wahlen am Sonntag auf 8,8 Prozent kam, und die extrem rechten Fratelli d’Italia (6,5) stünden wohl für ein Bündnis bereit. In einer Mitte-Rechts-Koalition würde Salvini allerdings der natürliche Buhmann fehlen. Lässt Salvini die Regierung platzen, besteht für ihn ein weiteres Risiko, nämlich, dass nicht neu gewählt wird und er in der Opposition landet, wenn sich die Fünf Sterne doch noch mit den Sozialdemokraten auf eine Regierungskoalition einigen sollten.

Luigi Di Maio hat sich erst am Montagnachmittag an die Öffentlichkeit gewandt. Er dankte den Wählern der Bewegung, aber auch denen, die sie nicht gewählt haben. „Aus dieser Wahl nehmen wir eine wichtige Lektion mit, wir lernen daraus und werden nicht aufgeben“, so Di Maio vor Journalisten in Rom. „Für mich gilt es, Versprechen einzulösen“, die man zu Beginn der Regierung gemacht hat. Für das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl machte Di Maio auch die niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich. Anders als in vielen Teilen Europas war die Wahlbeteiligung in Italien rückläufig. Waren 2014 noch 58,7 Prozent der Italiener an die Urnen gegangen, waren es an diesem Sonntag nur noch 56,1.

Wie lange sich der 33-Jährige noch an der Spitze der Fünf-Sterne-Bewegung halten kann, ist derzeit offen. Vor allem, weil es auch hier an Alternativen mangelt: Niemand scheint darauf erpicht zu sein, an seiner Stelle neben Salvini den schwachen Mann zu spielen.