Bundeskanzlerin Angela Merkel will die 17 deutschen Meiler einem Sicherheitsscheck unterziehen.

Berlin - Angela Merkel wirkt sehr ernst. Wenn in einem so hochentwickelten Land wie Japan ein solcher Atomunfall passiere, könne „auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, sagt sie im Kanzleramt. Sie will an diesem Tag nicht über ein Zurückdrehen der Laufzeitverlängerung reden, aber sie weiß sehr wohl, dass sich die Menschen auch in Deutschland nun massiv sorgen. Die Kanzlerin ordnet an, dass die Sicherheit in allen 17 deutschen Meilern nun rasch überprüft werden soll. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) betont, dass besonders die Kühlsysteme im Fokus stehen könnten.

 

Es klingt etwas zynisch. Aber nach dem Tsunami in Japan und dem folgenden Atomreaktorunfall in Fukushima Daiichi werden die Karten im laufenden Wahlkampf in drei Bundesländern neu gemischt, das muss auch Merkel befürchten, die betont: „Die Geschehnisse in Japan sind ein Einschnitt für die Welt.“ Gleichwohl sei nicht damit zu rechnen, dass eine mögliche Atomwolke bis nach Deutschland treiben könnte.

Die Bilder der Explosion in der Anlage von Fukushima gehen um die Welt und jeder wird mit einem Schlag daran erinnert: Selbst die sichersten Atomanlagen der Welt sind gegen solche Gewalten nicht gefeit. Anders als bei Tschernobyl vor 25 Jahren wird die Welt durch Live-Bilder wie am 11. September 2001 Zeuge der Katastrophe. Die meist unsichtbare Gefahr der Kernenergie wird Milliarden Menschen vor den Fernsehschirmen vor Augen geführt.

Es ist ein Zufall, aber an diesem 12. März 2011 demonstrieren zeitgleich zum Drama im Reaktor 1 rund 60.000 Menschen in Stuttgart gegen Atomkraft. Die Laufzeitverlängerung von Union und FDP im Herbst der Entscheidungen hat der Bewegung seit vergangenem Jahr neuen Zulauf beschert; in Berlin demonstrierten im September rund 100 000 Menschen gegen eine längere Zukunft für die Atomkraft und den Castor-Transport nach Gorleben.

Westerwelle: Jetzt geht es um die Hilfe für die Menschen

Mit Blick auf notwendige Nachrüstungen und den unzureichenden Schutz gegen Passagierflugzeuge stehen der Regierung unangenehme Wochen bevor. All die im Herbst geäußerten Argumente gegen die längeren Laufzeiten, die die Betriebszeiten der ältesten Reaktoren auf fast 50 Jahre erhöhen, finden auf brutale Weise eine Bestätigung. Die Fraktionschef der Grünen im Europarlament, Rebecca Harms, sagt: „Die Erdbebentragödie zeigt Grenzen der Beherrschbarkeit der Atomtechnik auf.“

Der Höhenflug der Grünen mit bundesweiten Werten weit über 20 Prozent speiste sich 2010 vor allem aus dem Kampf gegen die Laufzeitverlängerung. In zwei Wochen, am 27. März wird im Atomland Baden-Württemberg und in Rheinland Pfalz gewählt. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagt, eine politische Diskussion in Deutschland sei angesichts der akuten Notlage Japans unangemessen. „Ich halte das, um es ganz zurückhaltend zu sagen, für völlig deplatziert“. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) betont: „Jetzt geht es nicht um einen parteipolitischen Streit in Deutschland, der kann warten. Aber die Hilfe für die Menschen, die kann nicht warten.“ Ähnlich äußerte sich der EnBW-Chef Hans-Peter Villis.

"Das macht den Wahlkampf nicht unbedingt leichter"

Ein anderer führender FDP-Mann gibt aber bereits offen zu: „Das macht den Wahlkampf nicht unbedingt leichter.“ Denn das Atomthema polarisiert und Union und FDP müssen sich von der Opposition vorwerfen lassen, mit fragwürdigen Gründen den durch den rot-grünen Atomausstieg befriedeten Konflikt wieder aufgebrochen zu haben.

Auch Umweltschützer, SPD, Grüne und Linke betonen, zuallererst müsse jetzt an die von dem möglichen Super-Gau betroffenen Menschen gedacht werden. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erklärt „Spiegel Online“, es sei jetzt „keine Zeit für Rechthaberei“. Im gleichen Atemzug betont er aber, es stehe fest, dass auch in Deutschland Atomanlagen stünden, „die genau diesen Störfall nicht beherrschen“. Das Atomkraftwerk Neckarwestheim in Baden-Württemberg etwa sei „nicht ausreichend gegen eine Kernschmelze abgesichert und liegt in einem Erdbebengebiet“.

Reiner Baake, Geschäftsführer Deutsche Umwelthilfe betont: „Die unfassbare Aktualität“ der Massenproteste in Baden-Württemberg habe man sich nicht gewünscht. Fünf Reaktorblöcke an den benachbarten Atomkraftwerks-Standorten Fukushima I und II seien außer Kontrolle. Dass die japanische Atomaufsichtsbehörde sich nicht sicher sei, ob eine Kernschmelze begonnen habe, zeige die Dramatik der Lage.

Deutsches Atomforum bemüht sich um Schadensbegrenzung

„Nach Russland (Majak, 1957), den USA (Harrisburg, 1979), der Ukraine (Tschernobyl, 1986) ist nun Japan das nächste Land, in dem sich die nukleare Katastrophe realisiert, die nie passieren darf“, so Baake. Es sei besonders schmerzlich, auf diese Weise mit all den Mahnungen Recht behalten zu haben.

Das Deutsche Atomforum ist um Schadensbegrenzung bemüht. „Eine Verkettung eines derart schweren Erdbebens und eines schweren Tsunamis ist in Deutschland nicht vorstellbar“, sagt Sprecher Dieter Marx. Die deutschen Kernkraftwerke seien so ausgelegt, „dass die Schutzziele auch bei starken Erdbeben eingehalten werden“.