Gerüchte kursieren, dass der GE in Europa noch deutlich mehr Stellen streicht als bisher bekannt. Nach Informationen der Arbeitnehmervertreter sollen nach 2017 weitere mehr als 3200 Mitarbeiter dem Rotstift zum Opfer fallen. GE bestätigt das nicht.

Stuttgart - Für die Beschäftigten des Elektronikkonzerns General Electric (GE) in Europa könnte es noch heftiger werden als bisher bekannt. Nach Informationen der Arbeitnehmervertreter will der US-Konzern bei seiner Tochter GE Power – die frühere Alstom Power – über den jetzt angekündigten Abbau von europaweit rund 6800 Arbeitsplätze hinaus in den Jahren nach 2017 weitere gut 3200 Stellen streichen. Reinhold Götz, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Mannheim, habe die Zahl am Mittwoch vor der Betriebsversammlung genannt, sagt er im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung – und der anwesende GE-Power-Deutschland-Chef Alf-Hendryk Wulf habe nicht widersprochen. Ein GE-Sprecher in Deutschland kennt die Zahl, bestätigen kann er sie aber nicht. Durch die Unterlagen, die die Vertreter der Arbeitnehmer erhalten hätten, sei sie nicht gedeckt, sagt er.

 

GE, seit November 2015 Eigentümer der Energiesparte des französischen Alstom-Konzerns, will europaweit massiv Stellen streichen. Neben Stuttgart ist Mannheim besonders betroffen. Dort soll das Gas- und Dampfturbinenwerk innerhalb der nächsten zwei Jahre geschlossen werden. 500 Beschäftigte sollen ihre Arbeitsplätze verlieren, auch im Service- und Verwaltungsbereich soll gestrichen werden. Insgesamt 1050 der derzeit noch 1800 Stellen in Mannheim sollen dem Rotstift zum Opfer fallen. Es sei die „gravierendste Werksschließung“, seit Alcatel SEL – die heutige Alcatel Lucent – Mitte der 1990er Jahre die Navigation aus Mannheim abgezogen hat, sagt Reinhold Götz, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Mannheim. Gut 400 Mitarbeiter verloren damals – trotz politischer Interventionen – die Jobs. Auch bei GE Power sehen die Vertreter der Arbeitnehmer den Standort in Gefahr. Zumal die Fixkosten den künftig deutlich kleineren Standort massiv belasten werden.

Mannheim ist mittelständisch geprägt

Und die vom Abbau betroffenen Mitarbeiter? Wie sind ihre Chancen auf dem Mannheimer Arbeitsmarkt? Mannheim ist ein traditioneller Industriestandort. Hier startete Bertha Benz ihre legendäre Fahrt mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 3. Heute ist Daimler der größte Arbeitgeber in der Stadt. Andere namhafte Unternehmen wie Südzucker, ABB, Bilfinger, Fuchs Petrolub, Roche oder Phönix sind hier vertreten. Aktuell sind 70 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit mindestens 50 Beschäftigten in der ehemaligen Residenzstadt ansässig, erläutert Eva-Maria Lambertz, die Bereichsleiterin Industrie, Steuern, Konjunktur bei der IHK Rhein-Neckar. Die Masse der Unternehmen sind aber Klein- und Kleinstbetriebe. Von den insgesamt 8700 Unternehmen im Stadtgebiet beschäftigen 6500 zwischen einem und neun Beschäftigten, sagt Michael Grötsch, Wirtschaftsbürgermeister in Mannheim.

Die Stadt profitere von einem breiten Branchenmix, sagt Lambertz. Hier sei der Maschinenbau, der Fahrzeugbau und der Landmaschinenbau genauso vertreten wie die pharmazeutische Industrie und die Sensorik. Deswegen war Mannheim von der tiefen Wirtschaftskrise 2008/2009 weniger getroffen als der vom Auto abhängige Wirtschaftsstandort Stuttgart, erläutert die Wirtschaftsexpertin. Durchaus problematisch sei dagegen, dass Mannheim nur wenige Konzernzentralen beheimatet. Die Schaltzentralen der Macht sitzen in Stuttgart (Daimler), Moline/US-Staat Illinois (John Deere), Zürich (ABB), Basel (Roche) oder wie jetzt im Fall GE im fernen Fairfield im US-Bundesstaat Connecticut. „In der globalisierten Welt fehlt häufig die Bindung der Zentrale zum Standort“, sagt Grötsch. Für den IG-Metaller ist die mangelnde Identifikation durchaus ein Problem.

5,5 Prozent sind arbeitslos

Den Zahlen nach schadet es dem Standort derzeit nicht. Gut 310 000 Menschen leben in der Stadt, die streng quadratisch angelegt ist. 180 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind registriert. Davon sind 52 000 im produzierenden Gewerbe. „Dieser Wert hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert“, so Grötsch. Der Rest sind Stellen im Dienstleistungssektor, der zuletzt an Bedeutung gewonnen hat. Die aktuelle Arbeitslosenquote beträgt 5,5 Prozent, sagt der Bürgermeister. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit spiegelt sich auch in der Exportquote wider: 66,4 Prozent der Mannheimer Produkte seien 2014 ausgeführt worden; Baden-Württemberg insgesamt komme bei dieser Kennziffer „nur“ auf 56,3 Prozent, erläutert Lambertz. Die wirtschaftliche Lage sei „gut“ bis „grandios“, so Grötsch.

Können die vom Abbau betroffenen Mitarbeiter von GE Power also auf einen problemlosen Wechsel des Arbeitgebers hoffen? Götz ist da eher skeptisch. Grund seien die Nachrichten aus den Unternehmen. Der Landmaschinenhersteller John Deere habe nach einem Umsatzrückgang zuletzt die Zahl der befristet Beschäftigten reduziert. Bei Caterpillar, die im Bereich der Energieerzeugung tätig sind, gebe es Kurzarbeit. Isodraht, Hersteller von Wickeldraht, plant Kurzarbeit. Und der Konsumgüterkonzern Reckitt Benckiser will die Produktion von Calgonit-Spülmaschinentabs im nahe gelegenen Ladenburg schließen.