Nach der Wahl in Vaihingen/Enz Gerangel um Sitze für die AfD – Was sagen die anderen Parteien?

Die Botschaften der AfD lösen Widerspruch aus. Foto: dpa/Daniel Karmann

Bekommt die AfD einen Sitz in den Ausschüssen des Gemeinderats von Vaihingen/Enz? Die Einstufung des Verfassungsschutzes in puncto Rechtsextremismus wiegt schwer.

Ludwigsburg: Oliver von Schaewen (ole)

Hinter den Kulissen des Gemeinderats in Vaihingen rumort es. Die Bürger haben gewählt – und die AfD mit 8,8 Prozent und zwei Mandaten erstmals in die 26-köpfige Ratsrunde gewählt. Sollen die Vertreter der umstrittenen Partei auch in den drei Ausschüssen Sitz und Stimme erhalten? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Bis zum 24.  Juli haben die Vertreter der acht anderen Listen Zeit, sich eine Lösung zu überlegen. Dann tritt der neu gewählte Gemeinderat erstmals zusammen.

 

Wie hat der Vaihinger Gemeinderat bis jetzt Ausschüsse gebildet?

Bisher gilt im Ortsparlament der 30 000-Einwohner-Kommune die demokratische Gepflogenheit: Jeder der acht Listen wurde mindestens jeweils ein Sitz in den drei elfköpfigen Ausschüssen plus Oberbürgermeister Uwe Skrzypek (parteilos) zugebilligt. Notfalls verzichteten die größeren Fraktionen von Grünen und BbV auf einen ihrer beiden Plätze zugunsten der beiden kleinsten Gruppierungen: der Linken und der Wir-Liste. Ist es mit dem Goodwill nun vorbei? Fest steht, dass die AfD nach dem Verfahren von Sainte Laguë/Schepers Anspruch auf einen Sitz in jedem Ausschuss hätte. Der Rechenmodus wird in vielen Kommunen angewandt, auch im Deutschen Bundestag.

Muss es beim bisherigen Modus bleiben?

Es ist noch ungeklärt, ob die Gruppierungen im Vaihinger Gemeinderat das Verfahren auch diesmal anwenden. „Sie sind in ihrer Entscheidung völlig frei“, sagt Astrid Kniep, Pressesprecherin der Stadt. Verwaltung und Ältestenrat stünden im Austausch. Einige man sich nicht, drohe ein komplizierter Abstimmungsmarathon. Wären mehr Sitze eine Lösung? Der Oberbürgermeister Uwe Skrzypek will eine Inflation in den Ausschüssen verhindern. Er appelliert, den Konsens „mit maximaler Sachlichkeit“ zu suchen – „auf der Basis der demokratischen Grundordnung und zum Wohl der Stadt“.

Oberbürgermeister Uwe Skrzypek appelliert, den Konsens zu suchen. Foto: Simon Granville/Simon Granville

Will die CDU in Vaihingen die Merz’sche „Brandmauer“ zur AfD aufrechterhalten?

Das Verfahren Sainte Laguë/Schepers sichere eine faire Sitzverteilung, auch für die AfD, teilt Annkatrin Gittinger, Stadtverbandsvorsitzende der CDU, mit. Selbst wollen die Christdemokraten (18,2 Prozent, fünf Ratssitze) keinen ihrer beiden Ausschusssitze abgeben. Ein Mehr an Zusammenarbeit mit der AfD werde es nicht geben, auch wenn die AfD-Vertreter in Vaihingen nicht rechtsradikal aufgetreten seien. „Wer sich für eine Partei aufstellen lässt, die vom Verfassungsschutz als teilweise rechtsradikal eingestuft wird, der hat diese Entscheidung bewusst getroffen“, sagt Gittinger. Die AfD-Ratsvertreter hätten sich dafür entschieden, einer Partei ihr Gesicht zu geben, „die von Remigration phantasiert, deren Vertreter für China spionieren und die Hass und Hetze schürt“.

Wie kompromissbereit sind die Freien Wähler als größte Fraktion?

Die Freien Wähler (23 Prozent, sechs Sitze) gehen von Sainte Laguë/Schepers aus. „Letztlich muss das ganze Verfahren mit dem Einverständnis aller geschehen“, sagt der Fraktionsvorsitzende Eberhard Zucker. Die Freien Wähler gäben keinen ihrer beiden Ausschusssitze an die AfD oder die ebenfalls migrationskritische Liste Wir-in-Vaihingen ab. „Die Wir-Liste hat uns fünf Jahre lang in sozialen Medien schlecht gemacht, deshalb gibt es kein Entgegenkommen.“ Er kenne die AfD-Räte nicht persönlich. Man müsse abwarten, wie sie sich verhielten.

Wirken schlechte Erfahrungen nach?

Die rauen Töne des Wahlkampfs hallen auch bei der BbV-Liste (10,2 Prozent, drei Sitze) nach. Sie hatte der Wir-Liste vor fünf Jahren einen Sitz in den Ausschüssen ermöglicht. Das würde Michael Braun, Stadtrat der BbV, nicht noch einmal machen. „Der Wahlkampf der Wir-Liste war geprägt von einem Shitstorm insbesondere gegen die BbV.“ Die AfD-Vertreter misst Braun an ihrer Parteizugehörigkeit. Im Moment denke er, dass nur die Listen mit Fraktionsstärke in den Ausschüssen vertreten sein sollten.

Sollten nur Listen mit Fraktionsstärke in die Ausschüsse?

Brauns Vorschlag wäre im Vaihinger Gemeinderat ein neues Verfahren, bei dem die Listen mit weniger als drei Stadträten außen vor wären, da sie nicht als Fraktionen gelten. Das träfe nicht nur auf die AfD mit ihren zwei Sitzen, sondern auch auf die FDP (7,8 Prozent, zwei Sitze), die Wir-Liste (5 Prozent, ein Sitz) und die Linken (2,4 Prozent, ein Sitz) zu. Ob sich dafür ein Konsens findet, erscheint unwahrscheinlich.

Wie stehen die Linken zur AfD?

Der Linke Peter Schimke favorisiert den Weg der Verhandlungen, wie er bisher praktiziert worden ist, auf der Basis von Sainte Laguë/Schepers. Den AfD-Räten bringt er im Gemeinderat zunächst Offenheit entgegen: „Unsere Demokratie muss auch extrem abweichende Meinungen aushalten.“ Gefährde eine Partei die Demokratie, müsse man sie verbieten. „Keiner der neu in den Gemeinderat gewählten Vertreter ist in Vaihingen Enz als rechtsradikal aufgefallen.“

Wie stuft die SPD die AfD als Gesprächspartner ein?

Kritischer gegenüber der AfD äußerte sich für die SPD (11,3 Prozent, drei Sitze) deren Fraktionsvorsitzender Eberhard Berg: „Wer sich zu einer Partei bekennt, in der klar zu benennende Neonazis und Faschisten eine führende Rolle spielen können, solidarisiert sich mit denen und ist deshalb kein Gesprächspartner für Demokraten und somit auch nicht für uns.“ Berg geht von Saint Laguë/Schepers aus und davon, dass die AfD einen Anspruch auf einen Sitz in allen Ausschüssen hat. Möglicherweise könnten kleine Listen in je einen Ausschuss einziehen.

Wie sieht die Wir-Liste die AfD?

Keine Rolle spielt die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz für Wir-Stadtrat Oliver Luithle: „Der Vorsitzende des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang handelt als CDU-Mitglied politisch motiviert.“

Bleibt es bei der klaren Abgrenzung der Grünen gegenüber der AfD?

Die Grünen (12,7 Prozent, drei Sitze) nehmen die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz sehr ernst. „Kommunalpolitische Gremien fungieren als verlängerter Arm der Bundes- und Landespolitik“, sagt die Fraktionsvorsitzende Andrea Wagner. Auch die Grünen seien bereit gewesen, kleineren Listen Ausschusssitze zu überlassen. Dies müsse jetzt neu überdacht werden.

Was sagt die AfD zur Problematik?

Die Liste wolle sich konstruktiv und zum Wohle der Bürger einbringen, teilt Nikolaos Boutakoglou, einer der beiden AfD-Vertreter, mit. Seine Liste würde eine Vergabe nach Saint Laguë/Schepers und einen Sitz akzeptieren. Boutakoglou spricht von einem „üblen Beigeschmack“, den eine Änderung hätte, nach der nur Listen mit Fraktionsstärke in den Ausschüssen vertreten wären. Damit bekämen die AfD-Wähler den Eindruck, dass ihre Stimmen entgegen demokratischen Prinzipien aus dem Diskurs herausgehalten würden. Dies würde als unfair wahrgenommen und die Position der AfD nur stärken.

Wie entscheidet der Gemeinderat über die Ausschüsse?

Verfahren
Der neue Gemeinderat stimmt in der konstituierenden Sitzung am 24. Juli über einen Vorschlag der Verwaltung bezüglich der Sitzverteilung in den Ausschüssen ab. Der Vorschlag kommt nach der Vorberatung der Gemeinderatsmitglieder – auch im Ältestenrat – zustande, wird aber von der Verwaltung formuliert. Der Beschluss muss einstimmig sein.

Ohne Einigung
Wird keine Einigung erzielt, müssen die Ausschüsse nach einem komplizierten Verfahren gewählt werden. Die einzelnen Fraktionen können dabei Zählergemeinschaften bilden. Bei dieser Abstimmung gilt dann das Verhältniswahlrecht, zugrunde liegt abermals der Schlüssel von Saint Laguë/Schepers.

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