Regierungschef Renzi handelt tatkräftig, gleichzeitig wird die Vergabe früherer Baumaßnahmen hinterfragt. Viele eingestürzte Gebäude galten eigentlich als erdbebensicher.

Rom - Während an diesem Dienstagabend die Hinterbliebenen der Opfer des Erdbebens in Amatrice zusammenkommen, um mit Ministerpräsident Matteo Renzi und Präsident Sergio Mattarella ihrer Angehörigen zu gedenken, werden die Vorwürfe um die eingestürzten Gebäude immer lauter.

 

Viele öffentliche Bauten in den betroffenen Kommunen, wie Post, Schule und Krankenhäuser, galten offiziell als erdbebensicher. Heute, eine Woche nach den verheerenden Erdstößen, die ganze Ortschaften in Schutt und Asche gelegt haben, haben sie, wenn sie überhaupt noch stehen, ein neues Zertifikat: „Nicht betretbar“.

Erdbebensichere Standards

Bei dem Erdbeben in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch vergangener Woche in den Regionen Latium und Marken waren mindestens 292 Menschen ums Leben gekommen, 230 von ihnen allein in Amatrice. Etwa 2500 Menschen wurden obdachlos Am heftigsten entzündet sich die Diskussion am Turm der Kirche San Francesco in Accumoli: Nach dem Erdbeben 1997 in Umbrien hatte der Turm erhebliche Schäden davon getragen. Bei den Reparaturen sollte die Bauweise den Standards für Erdbebensicherheit angepasst werden. Nach eingehenden Kontrollen soll jedoch entschieden worden sein, es bei „Verbesserungen“ zu belassen.

Gleich beim ersten Erdstoß Dienstagnacht um 3.36 Uhr hat der Turm eine Familie unter sich begraben: Vater, Mutter und die zwei kleinen Kinder starben. Die Staatsanwaltschaft von Rieti hat Untersuchungen eingeleitet. „Ich hoffe, derjenige, der die Arbeiten am Turm gemacht hat, hat diese gut gemacht. Alles andere wäre eine Todsünde“, sagte Don Cristofero Kozlowski, der Pfarrer von San Francesco.

Aufträge für ungeeignete Firmen

Auch der Bischof von Rieti, Domenico Pompili, macht seinem Ärger Luft. Immerhin war es die Kurie, Eigentümer der Gebäude, welche die Gelder für den Auftrag erhalten und verwaltet hat. Die hintergründige Angst: Die Aufträge wurden wohl an ungeeignete Firmen vergeben. „Ich bin kein Ingenieur“, sagte Pompili, „und ich will niemanden verurteilen. Aber so wie jetzt die Zeit der Schmerzen ist, wird später die Zeit der Justiz kommen.“

Die Kurie sei bereit, bei den Ermittlungen zusammenzuarbeiten. Daran tut sie gut. Denn auch sie dürfte bald Adressat der Vorwürfe werden: Das Geld, das für die Sicherung des Turmes bestimmt war, soll in Renovierung, Reparaturen und Ausbesserungsmaßnahmen an der Kirche geflossen sein. Und auch diese sollen nicht der Sicherheit gedient haben, sondern reine Schönheitsmaßnahmen gewesen sein. Berichte solcher Unregelmäßigkeiten häufen sich in diesen Tagen nach der Katastrophe. Vor allem zu Gebäuden in Accumoli und Amatrice, den am meisten von dem Erdbeben betroffenen Orten.

Auch nach dem Erdbeben 1997 in Umbrien waren in die nun zerstörten Kommunen Gelder geflossen, die Schäden an den Gebäuden zu reparieren und gleichzeitig Maßnahmen zu ergreifen, diese sicherer zu machen.

Größtmögliche Transparenz

Die aktuellen Bilder aus den zerstörten Gebieten zeugen davon, dass dies nicht der Fall gewesen sein kann. Auch Bürger berichten davon, ihre privaten Häuser mit Zertifikat „erdbebensicher“ gekauft zu haben – viele von ihnen stehen nun vor einem Trümmerhaufen, der einmal ihr zu Hause war. Auch wegen der eingeleiteten Ermittlungen, die die Verantwortlichen und Schuldigen dieser Katastrophe hinter der Katastrophe ausmachen sollen, wird Ministerpräsident Renzi nicht müde, für den nun folgenden Wiederaufbau größtmögliche Transparenz zu versprechen.

Um das zu gewährleisten, soll in dieser Woche noch ein Verantwortlicher ernannt werden, der den Wiederaufbau in allen vier betroffenen Regionen beaufsichtigen soll. Auch die Antikorruptions-Behörde soll eng eingebunden werden. Denn klar wird gerade auch: Die unterschiedlichen oft verwirrenden Zuständigkeiten von Kommunen und Regionen machen die Ermittlungen im Nachhinein nicht einfacher.

Stehlen per Auftragsvergabe

Renzi verspricht ein dichtes Kontrollnetz. „Es gibt Plünderer, die aus den Häusern stehlen, aber gibt vielleicht noch mehr, die durch die Auftragsvergabe stehlen“, sagte er. Der Wiederaufbau müsse schnell aber gewissenhaft erfolgen. Den Investitionen dafür stehen Renzi allerdings sein schlechter Staatshaushalt und die EU-Stabilitätsregeln im Wege. Seit Wochen Streitpunkt zwischen ihm und der Europäischen Union. Am heutigen Mittwoch trifft er sich zu Regierungskonsultationen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Maranello, Sitz des Ferrari-Werkes. In ihre Richtung dürfte seine fast trotzige Ankündigung in Sachen Wiederaufbau zu verstehen sein: „Wir nehmen das, was wir brauchen, Punkt.“ http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.erdbeben-in-italien-dantes-inferno-in-der- bergidylle.4e0ec375-4290-4d1a-aaed-ce834571b316.html