In der Berliner Gethsemanekirche werden Willkommensschilder für Peter Steudtner gebastelt. Wochenlang hat die Gemeinde in Andachten ihre Solidarität mit dem 45-Jährigen bekundet, der in türkischer Untersuchungshaft saß.

Berlin - Nach der Freilassung des Berliner Menschenrechtlers Peter Steudtner aus türkischer Untersuchungshaft herrschen in der Hauptstadt Freude und Erleichterung. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte am Donnerstag: „Der Alptraum hat ein Ende“. Er dankte allen, die sich in den letzten Monaten mit Steudtner solidarisiert haben. Der Deutsche Richterbund sprach von einem ersten ermutigenden Zeichen nach einer Kette von Rückschlägen.

 

Steudter wurde noch am Donnerstag in Berlin erwartet. Der 45-Jährige war nach mehr als drei Monaten aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Silivri westlich von Istanbul entlassen worden. Steudtner sagte vor Journalisten: „Wir sind allen sehr dankbar, die uns rechtlich, diplomatisch und mit Solidarität unterstützt haben.“ Ein Gericht in Istanbul hatte zuvor die Freilassung ohne Auflagen beschlossen.

Gerhard Schröder hat eine zentrale Rolle gespielt

Bei der Freilassung des Menschenrechtlers hat nach Recherchen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder eine zentrale Rolle gespielt. Schröder habe den Fall bei einem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angesprochen und erreicht, dass Steudtner aus der Haft entlassen wird, berichtete das Redaktionsnetzwerk am Donnerstag. Schröder ließ in Berlin erklären, dass er dazu keine Stellungnahme abgeben werde. Er freue sich gleichwohl über die Freilassung Steudtners.

In der Berliner Kirchengemeinde von Steudtner hieß es: „Wir haben ein unglaubliches Gefühl der Erleichterung.“ Viele seien sich am Donnerstagmorgen um den Hals gefallen, sagte der Geschäftsführer der Evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg, Frank Esch. Für den Abend (18.00 Uhr) war eine Dank-Andacht geplant. „Und jetzt werden hier Willkommens-Schilder gebastelt.“ Seit Wochen trafen sich jeden Abend Menschen in der Gethsemanekirche, um für Steudtner zu beten und zu singen.

Wann genau Steudtner kommt, wisse er noch nicht, sagte Esch. „Es gibt in jedem Fall ein Willkommen für ihn.“ Die Familie habe aber zunächst um Privatheit gebeten. Ob die zumeist ehrenamtlich organisierten täglichen Andachten weitergehen, werde jetzt beraten.

„Keinen Grund zur Entwarnung“

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sieht in der Freilassung von Steudtner indes „keinen Grund zur Entwarnung“. Man dürfe nicht vergessen, dass das Ende der Untersuchungshaft kein Freispruch sei, sagte Roth am Donnerstag auf NDR Info. „Der Prozess geht weiter. Das ist völlig unverständlich, denn die Anklage gegen die Menschenrechtsverteidiger war völlig aus der Luft gegriffen und durch überhaupt nichts zu rechtfertigen.“ Grünen-Chef Cem Özdemir erinnerte daran, „dass es nach wie vor widerrechtlich in der Türkei inhaftierte deutsche Staatsbürger gibt“. Auch diese müssten freigelassen werden, sonst könne es „keinerlei Normalisierung oder gar Fortschritte“ im Verhältnis mit der Türkei geben.

Steudtner und anderen Menschenrechtlern wird Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ beziehungsweise „Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen“ vorgeworfen, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen. Das Verfahren wird am 22. November fortgesetzt. Für Steudtner dürfte das nach der Ausreise aber keine Auswirkungen mehr haben.

„Der Willkür der Richter ausgesetzt“

Der Deutsche Richterbund wertete die Haftentlassung als erstes ermutigendes Zeichen nach einer Kette von Rückschlägen. Der Vorsitzende Jens Gnisa sagte: „Wer in der Türkei inhaftiert wurde und vor Gericht steht, dem droht letztlich, der Willkür der Richter ausgesetzt zu sein.“

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte die türkische Justiz auf, nach der Haftentlassung Steudtners auch die inhaftierten deutschen Journalisten auf freien Fuß zu setzen. „So unschuldig wie er sitzen die deutschen Journalisten Mesale Tolu und Deniz Yücel hinter Gittern. Ihr einziges „Vergehen“ heißt kritischer Journalismus“, sagte DJV-Chef Frank Überall.