Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen im Land wohl 17 Schwerverbrecher freigelassen werden.

Stuttgart - Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) müssen in Baden-Württemberg in den kommenden Monaten möglicherweise 17 rückfallgefährdete Schwerverbrecher freigelassen werden. Dies sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Donnerstag und bestätigte damit einen entsprechenden Bericht der "Stuttgarter Nachrichten" (Donnerstagausgabe). Das Blatt zitierte Justizminister Ulrich Goll (FDP) mit den Worten: "Man muss leider mit dem Schlimmsten rechnen."

Bei den 17 Straftätern handelt es sich um Verurteilte, die ihre Strafe abgesessen haben, aber in Sicherungsverwahrung sind, da sie immer noch als gefährlich gelten. Die meisten seien Sexualstraftäter. Der EGMR hatte kürzlich entschieden, dass eine Sicherungsverwahrung bei Straftätern nicht rückwirkend verlängert werden darf. Dies verstoße gegen die Europäische Menschrechtskonvention. Nach Ansicht des Gerichts müssen die Straftäter nun freigelassen werden, weil die Sicherungsverwahrung bei ihnen rückwirkend verlängert wurde.

Hintergrund ist eine deutsche Gesetzesänderung aus dem Jahr 1998, mit der die Obergrenze für eine Sicherungsverwahrung abgeschafft wurde. Die Regelung wurde auch für Altfälle angewandt, was nun aufgehoben werden soll. Bundesweit trifft dies auf etwa 70 Schwerverbrecher zu. Es sei bislang noch strittig, ob das Urteil des EGMR eine unmittelbare Bindungswirkung in Deutschland habe, oder nicht, erläuterte der Ministeriumssprecher. Das Oberlandesgericht Hamm habe dies bejaht, das Oberlandesgericht Koblenz hingegen verneint. "Wir teilen eher die Meinung des Koblenzer Gerichts", sagte der Ministeriumssprecher.

Das Urteil bedeute also nicht zwangsläufig, dass nun alle in Frage kommenden Täter sofort freikämen, sagte er weiter. Diese hätten allerdings die Möglichkeit, Anträge auf Entlassung zu stellen. Die Anträge müssten dann gegebenenfalls bis zum Oberlandesgericht durchgeprüft werden.

Goll will im Fall von Freilassungen die Sexual- und Gewalttäter von der Polizei überwachen lassen. Dazu will er das Projekt Kurs ("Konzept zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualtäter") auch auf Gewalttäter ausweiten.