Der Kreuzbandriss von Thomas Dreßen ist der Super-GAU für den deutschen Alpin-Sport. Nach seinem Sturz in Beaver Creek steht der Kitzbühel-Sieger vor einem langen Weg zurück.

Beaver Creek/Köln - Thomas Dreßen lag hilflos im Fangzaun und schrie vor Schmerzen. Und wenn dieser Bär von einem Skifahrer nicht von allein wieder aufsteht, dann ist klar: Es muss etwas Fürchterliches passiert sein. Der Kreuzbandriss des Abfahrt-Stars beim Weltcup in Beaver Creek ist der Super-GAU für den ohnehin nicht vom Glück verfolgten deutschen Alpin-Sport.

 

Dreßen und die sportlich Verantwortlichen zeigten aber sogleich großen Kampfgeist. „Wir sind ein wenig traurig. Traurig mit dem Thomas. Niedergeschlagen sind wir aber nicht“, sagte Cheftrainer Mathias Berthold am Freitagabend nach dem auf den ersten Blick nicht einmal übermäßig spektakulär anmutenden Sturz des 25 Jahre alten Mittenwalders, den „ein kleiner Konzentrationsfehler“ ausgelöst habe.

Dreßen befand sich da noch im Krankenhaus in Vail - dort, wo ein Jahr zuvor Felix Neureuther, der andere deutsche Alpin-Star bei den Männern, ebenfalls mit einem Kreuzbandriss gelandet war. „Thomas ist ein Super-Bursch, er zeigt in diesem Moment sehr viel Größe“, sagte Berthold: „Seine mentale Stärke wird ihm helfen, über diese Verletzung hinwegzukommen.“

Am Montag die Rückkehr in die Heimat geplant

Sämtliche mentale Stärke wird Dreßen, im Januar strahlender Sieger auf der legendären Streif in Kitzbühel, brauchen - schließlich ist die erste Diagnose niederschmetternd: Im Krankenhaus wurde ein Kapitalschaden im rechten Knie mit einem Riss des vorderen und hinteren Kreuzbands festgestellt, hinzu kommt eine ausgekugelte linke Schulter.

Am Montag soll Dreßen in die Heimat zurückkehren, dann wird die weitere Vorgehensweise definiert. Klar ist: Der Weg zurück wird lang. Die Verletzung ist schwerer als jene Neureuthers, der sich vor Jahresfrist „nur“ das vordere Kreuzband gerissen hatte, danach sogar noch von einer Olympia-Teilnahme träumte. Bei Dreßen liegt der Fall anders: Den Rest der Saison inklusive der WM in Are/Schweden (5. bis 17. Februar) wird er verpassen. Wann er wieder auf Ski stehen kann, lässt sich nicht seriös beurteilen.

Sehn Sie hier im Video, wie es zu dem Unfall kam:

Nichts spricht aber dagegen, dass der nicht vorbelastete Hüne wieder völlig fit, nichts spricht dafür, dass er ein zweiter Fall Florian Eckert wird: Der WM-Dritte von 2001 in der Abfahrt kapitulierte vor seinen Knieproblemen und beendete 2005 mit nur 26 Jahren seine Karriere. Dreßen war mit Platz sieben in der Vorwoche im kanadischen Lake Louise glänzend in die Saison gestartet. „Ich bin voll happy, weil ich gesund bin“, sagte er da. Und vor dem Beginn des WM-Winters hatte der Aufsteiger verkündet, „echt keine Lust drauf“ zu haben, dass Kitzbühel „so ein einmaliger Geschichtsbucheintrag wird“ - die Rückkehr auf die Stockerl dieser Welt wird nun zu einer Geduldsprobe.

Als 11-Jähriger den Vater bei Seilbahnunglück verloren

Der ursympathische Dreßen, der in der Vorsaison nicht nur sportlich, sondern auch mit seinem Auftreten die Herzen der Wintersportnation Deutschland erobert hatte, kann sich auch alle Zeit der Welt für ein Comeback lassen. Die Saison 2019/20 wird ein Übergangsjahr ohne Großereignis, die übernächste WM steht 2021 in Cortina d’Ampezzo an, 2022 folgt Olympia in Peking - dann wird Dreßen mit 28 Jahren im allerbesten Abfahralter sein. Vor allem aber weiß er, dass es Schlimmeres im Leben gibt als eine Knieverletzung: Als Elfjähriger verlor er seinen Vater beim Seilbahnunglück in Sölden.

Im deutschen Lager sorgte Dreßens Unglück nach dem ersten Schock für eine Trotzreaktion. „Wir unterstützen Thomas, unterstützen aber auch unser Team, um gleich wieder erfolgreich zu sein“, sagte Berthold. Dass fast zeitgleich bei der Frauen-Abfahrt in Lake Louise die junge Kira Weidle sensationell als Dritte aufs Podest raste, war ein Zeichen: Es wird weitergehen - vorerst auch ohne Dreßen. SID cl mh