Nach der spektakulären Entdeckung von rund 1400 Kunstwerken in München sagt ein Kunsthistoriker, dass "davon ausgegangen werden muss, dass Herr Gurlitt rechtmäßig über diesen Besitz verfügt. In vielen Fällen handelt es sich nicht um NS-Raubkunst."

Nach der spektakulären Entdeckung von rund 1400 Kunstwerken in München sagt der Berliner Kunsthistoriker Uwe Hartmann, dass "davon ausgegangen werden muss, dass Herr Gurlitt rechtmäßig über diesen Besitz verfügt. In vielen Fällen handelt es sich nicht um NS-Raubkunst."

 

Berlin - Der sensationelle Münchner Kunstfund gehört nach Einschätzung des Berliner Provenienzforschers Uwe Hartmann zum großen Teil rechtmäßig dem 79-jährigen Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt, in dessen Münchner Wohnung die Werke beschlagnahmt wurden. „In vielen Fällen handelt es sich nicht um NS-Raubkunst. Es muss davon ausgegangen werden, dass Herr Gurlitt rechtmäßig über diesen Besitz verfügt“, sagte Hartmann am Mittwoch in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Der Kunsthistoriker ist Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Verbleib von Kunstwerken in der Nazizeit und unterstützt öffentliche Einrichtungen bei der Suche und Identifikation von NS-Raubgut.

In Gurlitts Wohnung waren rund 1400 Werke vor allem der klassischen Moderne gefunden worden, die bisher als verschollen galten. Sein Vater Hildebrand Gurlitt war einer der vier Kunsthändler, die von den Nazis mit dem Verkauf der von ihnen verfemten, sogenannten „entarteten Kunst“ beauftragt war. Viele Museen und Sammlungen hatten damals die betroffenen Werke freiwillig zur Verfügung gestellt, um ihre Bestände von dieser Kunst zu „säubern“.

„Wahrscheinlich hat Hildebrand Gurlitt viele Arbeiten selbst gekauft und einen Kaufpreis an das Propaganda-Ministerium entrichtet“, so Hartmann. „Nach der damaligen Rechtslage war er der rechtmäßige Erwerber. Die Bilder gehörten ihm. Und an diesem rechtlichen Status quo ist nie etwas verändert worden.“

"Ich glaube nicht, dass man Herrn Gurlitt dazu zwingen kann"

Grundlage war ein Gesetz, das die Nazis 1938 nachträglich zur Rechtfertigung ihrer „Säuberungsaktion“ erließen. Es sei nach dem Krieg weder von den Alliierten noch später von der Bundesregierung außer Kraft gesetzt worden, so der Experte. „Die Aktion selbst wurde zwar als Kulturbarbarei der Nazis gebrandmarkt, aber an der rechtlichen Situation hat man nie etwas verändert und verändern wollen.“

Grundsätzlich anders ist die Situation bei NS-Raubkunst. Dabei handelt es sich um Werke, die verfolgte jüdische Kunsthändler und Sammler unter dem Druck der Nazis verkaufen mussten oder die bei ihnen beschlagnahmt wurden. Nach der sogenannten Washingtoner Erklärung von 1998 soll in solchen Fällen eine „gerechte und faire Lösung“ mit den Erben erzielt werden. In Deutschland haben sich öffentliche Museen und Sammlungen verpflichtet, ihre Bestände gezielt zu durchsuchen und die Bilder gegebenenfalls auch zurückzugeben.

Private Kunstbesitzer, Museen und Stiftungen seien an die Washingtoner Erklärung jedoch nicht gebunden, so Hartmann. „Unter moralischen Gesichtspunkten wäre es gut und großzügig, diese Werke zurückzuerstatten. Aber ich glaube nicht, dass man Herrn Gurlitt dazu zwingen kann.“ Für die Erben sei dies eine unerträgliche Situation: „Sie wissen, da ist etwas aufgetaucht, was unseren Vorfahren entrissen wurde. Aber es gehört jetzt einem Mann, dem es nicht streitig zu machen ist.“

Wie groß der Anteil von Raubkunst an dem spektakulären Münchner Fund ist, lässt sich nach Angaben des Experten bisher nicht einschätzen. Er appellierte eindringlich an die Behörden, einen Katalog aller Werke öffentlich zugänglich zu machen - vergleichbar der Lost-Art-Datenbank im Internet. „Nur wenn so viele Menschen wie möglich von den wiederentdeckten Kunstwerken wissen, können wir wirklich Klarheit über ihre Herkunft bekommen.“