Mit der Stuttgarter Abgeordneten Martin gibt es zum ersten Mal im Südwesten eine Zeugin aus den eigenen Reihen, die der AfD rechte Tendenzen vorwirft. Die Populisten selbst bemühen sich um Schadensbegrenzung.

Stuttgart - Konzentriert und mit Sprechzetteln in der Hand erhebt die Landtagsabgeordnete Claudia Martin (46) ihre Vorwürfe: Sie beklagt einen Rechtsruck bei der AfD, zu wenig Distanz zu Extremisten. Und deshalb verlässt sie nun Partei und Fraktion, wie sie in ihrem Abgeordnetenbüro in Stuttgart sagt. Dass nun eine Zeugin aus den eigenen Reihen bestätigt, was viele Beobachter von außen ohnehin seit langem anprangern, verfehlt seine Sprengkraft an diesem letzten Adventswochenende nicht: Die AfD wittert Verrat in den eigenen Reihen - und tut den „Rechtsruck“-Vorwurf als Hirngespinst ab. Vor allem aber auch mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Herbst kämpft die immer wieder von Skandalen erschütterte Partei nun um Schadensbegrenzung.

 

Die Hinterbänklerin Martin, eine Erzieherin, sei überfordert, ätzte AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen. Der Bundesvorsitzender der Partei wirft ihr ein „falsches Spiel“ und „Heuchelei“ vor. Die Frau habe ganz offenkundig die Partei nur benutzt, um in den Landtag zu kommen.

Martins Abgang keine Bedrohung für die Partei

Nach neun Monaten Arbeit im Parlament, das am 13. März gewählt wurde, nun der Bruch. Martin will ihren eigenen Weg gehen. Dass sie Anfeindungen erntet, ist ihr klar. Bei dem eilig angesetzten Termin am Samstag nutzt sie die Aufmerksamkeit der Medien, um ihr geplantes Buch zum Innenleben der von etablierten Kräften als rechtspopulistisch verschrienen Partei anzukündigen. Zum Verlag und genauen Inhalt freilich hält sie sich mit gezwungenem Lächeln bedeckt.

Es dürfte aber vor allem auch um die Gründe für ihren Parteiaustritt gehen. Zur AfD gestoßen sei sie 2013, weil ihr die streng konservative Haltung der Partei und etwa die Kritik an der Euro-Rettungspolitik aus dem Herzen gesprochen habe. Jetzt aber mache die Partei Politik auf dem Rücken der Flüchtlinge, gehe reißerisch auf Stimmenfang bei den Wählern und grenze sich unzureichend ab gegen Antisemitismus und rechten Extremismus. „Sie hat für mich den Blick auf die Menschen verloren“, sagt Martin über die AfD.

Der Politikwissenschaftler Frank Brettschneider sieht ebenfalls einen „Rechtsruck“ bei der AfD, wie er Deutschen Presse-Agentur am Sonntag sagte. „Es hat eine Verschiebung zu Komponenten gegeben, die man als rechts ansehen kann“, sagte er. Dieser „Rechtsruck“ sei beim Personal der Partei und bei den Inhalten zu sehen, meinte er. Auffällig seien immer wieder „nationalistische und völkische Töne“ und zuletzt auf dem Bundesparteitag Ende April, Anfang Mai in Stuttgart auch Anti-Islamismus. Dass Martins Abgang die Existenz der Partei bedroht, erwartet er aber nicht.

Gerade erst hat sich Fraktion zusammengerauft

Immerhin bescheinigt auch die abtrünnige Abgeordnete der AfD in der Stunde der Abrechnung, dass sie „viele fähige“ Mitstreiter habe. Für die etablierten Parteien - also Grüne, CDU, SPD und FDP im Landtag - aber ist der Fall Martin ein neuer Beleg dafür, dass die AfD vor allem mit sich selbst beschäftigt ist.

Gerade erst hat sich die Fraktion nach monatelanger Spaltung zusammengerauft - da gerät sie erneut in Turbulenzen. Grund für die Spaltung im Sommer war der Streit um den Umgang mit den Antisemitismus-Vorwürfen gegen den Abgeordneten Wolfgang Gedeon. Nun verliert die Fraktion mit Martin das zweite Mitglied. Und auch wenn sie mit 21 Abgeordneten immer noch drittstärkste Kraft im Landtag ist, sehen sich viele AfD-Anhänger enttäuscht.

Dem AfD-Verband Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis blieb am Wochenende nichts mehr als eine ohnmächtig-erschrockene Reaktion auf Martins Weigerung, das Mandat abzugeben. „Ansonsten können wir diesen Schritt nur zur Kenntnis nehmen (...) und versprechen, bei der Auswahl künftiger Kandidaten mehr Sorgfalt und Verantwortung an den Tag zu legen“, schrieb der Kreisverband bei Facebook. Die Partei sei jung und wolle daraus lernen.